Großbritannien: "Jedes Kind zählt" : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

"Jedes Kind zählt" heißt ein Programm der britischen Regierung zur Förderung von Gesundheit und Sicherheit, des Bildungserfolgs und der gesellschaftlichen Teilhabe. In der Grafschaft East Riding of Yorkshire im Nordosten Englands hat man dieses Konzept mit dem des "Family Learning" weiterentwickelt.

Margaret Walker arbeitet seit 1989 in der Erwachsenenbildung und ist seit 2000 Leiterin des "Adult Education Service" des East Riding of Yorkshire Council, einer Grafschaft im Nordosten Englands. Am 21. September 2007 sprach die Schottin als internationale Expertin im Rahmen der Vortragsreihe auf dem Berliner Ganztagsschulkongress des BMBF. Nicht zufällig - Margaret Walker hat eine lokalen Bildungslandschaft etabliert, und diese waren das Hauptthema des Kongresses. In der East Riding verknüpfte sie unter anderem die Erwachsenenbildung mit den Schulen - entstanden ist eine neue lokale Bildungslandschaft, die generationenübergreifend wirkt und von denen Familien wie die Kommunen profitieren.

Die Entwicklung begann im Jahr 2003, als die britische Regierung als Reaktion auf die Misshandlung und Ermordung eines achtjährigen Mädchens die Initiative "Every Child Matters" (Jedes Kind zählt) auf den Weg brachte. Jedes Kind soll unabhängig von seinem sozialen Hintergrund so gefördert werden, dass es gesund bleibt, dass es sicher aufwächst, dass es das Leben genießen und etwas erreichen kann, dass es in der Lage sein wird, einen positiven Beitrag für die Gesellschaft zu leisten und dass es zu eigenem Wohlstand kommen wird. Zum Erreichen dieser Ziele wurden ausführliche Pläne aufgelegt, zu deren Erfüllung unterschiedliche Organisationen und Behörden zusammenarbeiten müssen. Bis 2010 sollen diese Ziele verwirklicht sein.

Als Herzstück von "Every Child Matters" stellte die Regierung 2005 das Konzept der "Extended Schools" vor. Diese Schulen sollen die Ziele der Regierungsinitiative verwirklichen helfen, indem sie verschiedene Angebote der Kommune unter einem Dach bündeln. Extended Schools arbeiten mit den lokalen Behörden, mit lokalen Organisationen und anderen Schulen zusammen, um gemeinsame Angebote für die Schülerinnen und Schüler zu organisieren. Im Vordergrund stehen Förderangebote, sportliche und musikalische Angebote sowie Unterstützungsangebote für Eltern und Familien. Die Erwachsenen sollen in den Extended Schools schnellen und unbürokratischen Zugang zu auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Serviceleistungen und Beratungen erhalten, wozu auch das gemeinsame Lernen von Kindern und Erwachsenen gehört.

25 Prozent Schulabbrecherquote

Zurzeit arbeiten in Großbritannien 7.000 Schulen - mehr als ein Viertel - als "Extended Schools". Mit dem Programm, für das die Regierung von 2006 bis 2008 umgerechnet etwa 983 Millionen Euro investiert, soll erreicht werden, dass die Schulbesuchsrate der Kinder und Jugendlichen ansteigt, ihr Selbstbewusstsein und ihre Motivation gestärkt werden, die Ausschlussraten aus dem Unterricht sinken und es den Lehrerinnen und Lehrern wieder möglich ist, sich stärker auf das Lehren und Lernen zu konzentrieren. Nicht zuletzt soll auch die Zahl der Kinder ohne Schulabschluss gesenkt werden, welche mit 25 Prozent die schlechteste in der Europäischen Union ist. Schulinspektionen überprüfen, ob diese Ziele erreicht werden.

Als Margaret Walker von diesem Programm erfuhr, sah sie sofort die Chance, unter anderem die Erwachsenenbildung in den "Extended Schools" zu verankern, um formale und non-formale Lerngelegenheiten auch generationenübergreifend anzubieten. Die Einbeziehung der Eltern in die Schule ist den Verantwortlichen in East Riding wichtig, denn der Einfluss des Elternhauses auf die Kinder ist enorm hoch - "nur 15 Prozent des Lernens eines Kindes findet in der Schule statt", so Margaret Walker. Um aber zu Hause Anregungen zu erhalten und etwas lernen zu können, müssen manche Eltern selbst erst einmal weitergebildet werden.

Damit "Extended Schools" die selbst gesteckten Ziele erreichen können, ist laut Margaret Walker besonders eins essentiell: "Partnerschaft, Partnerschaft, Partnerschaft." Im Rahmen ihrer Kompetenzen sind Lehrer, Erzieher, Behörden und außerschulische Partner frei, das zu tun, was sie zum Erreichen der "Every Child Matters"-Ziele für notwendig erachten. Aber es muss mit allen Partnern abgestimmt sein, denn nur gemeinsam im Mix der Professionen kann man laut Margaret Walker das Optimale für das Kind gewährleisten, das hier absolut im Vordergrund stehe.

Der Schlüssel zum Erfolg ist Zusammenarbeit

"Um die unterschiedlichen Dienstleistungen zusammenzubringen, bedurfte es viel Arbeit", berichtet Margaret Walker. Erschwert wurde die Arbeit durch die ländliche Struktur der Grafschaft mit den vielen kleinen Städten und Dörfern. Diese erschwert auch die Motivation der Jungen: "In einer ländlichen Sekundarschule wollten alle Jungen Traktor fahren", erzählt die Learning and Skills-Managerin. "Sie meinten, hohe akademische Qualifikationen wären nichts für sie. Das hatte in ihren Familien keine Priorität." Zwar sei East Riding eine insgesamt wohlhabende Region, es gebe aber auch sozial schwer benachteiligte Regionen.

Die "Extended Schools" halten an fünf Tagen der Woche von 8.00 bis 18.00 Uhr die Schultore geöffnet. Neben der Hausaufgabenhilfe und der Lernförderung bieten die Schulen mindestens zwei Wochenstunden Sport nach Unterrichtsende, Musikunterricht, Tanz und Theater, Kunsthandwerk und Handwerk, spezielle Interessen wie Schach und Erste Hilfe, Besuche in Museen und Galerien, das Erlernen einer Fremdsprache, freiwillige soziale Arbeit und Berufsvorbereitung.

158 Schulen mit rund 50.000 Schülerinnen und Schülern gibt es in East Riding. 16 "Extended Schools"-Koordinatoren betreuen diese Schulen. Die Grafschaft ist in sechs Bereiche aufgeteilt, in denen Teams mit eigenen Budgets konkret für ihre Gegebenheiten planen können. Dies bezieht auch das "Sure Start"-Programm mit ein, das sich um die Altersgruppe von null bis fünf Jahren kümmert. "Der Schlüssel des Erfolges ist, dass die Services zusammensitzen und arbeiten", meint Margaret Walker. Es gebe aber auch da Potential, solche Projekte noch enger zu verweben. Auf Konferenzen wird das weitere Vorgehen jeweils abgestimmt. Für jedes Kind und jeden Jugendlichen hat das East Riding of Yorkshire Council einen Plan aufgestellt, bei dessen Erstellung jeweils die Lehrer, die Partner und die Schülerinnen und Schüler selbst einbezogen wurden.

Erwachsene entdecken zusammen mit ihren Kindern die Freude am Lernen

Ein weiteres Mosaikstück auf dem Weg zu einer integrierten lokalen Bildungslandschaft ist das von der Erwachsenenbildung aufgelegte "Family Learning"-Programm, bei dem Kinder zusammen mit ihren Eltern lernen. Der Staat finanziert das Programm und ist besonders daran interessiert, dass benachteiligte Familien erreicht werden. "Wir wollen für die Freude am Lernen und für das lebenslange Lernen in den Familien werben", beschreibt Margaret Walker den Hintergrund dieses Projekts. "Die Eltern sollen ein Teil des Lernprozesses der Kinder sein. Wir hoffen, dass sie sich so mehr für das Lernen ihrer Kinder interessieren und vielleicht auch selbst Erwachsenenkurse belegen werden. Für Erwachsene, die anfangs vielleicht keine Chance zur guten Erziehung hatten, ist dies oft ein Ausgangspunkt."

Das Wort "Eltern" ist dabei weit gefasst. Es können auch erwachsene Freude und Verwandte sein. Das Alter spielt dabei keine Rolle, wichtig ist allerdings, dass Kind und Erwachsener zusammen erscheinen und teilweise gemeinsam lernen. Miteinander sprechen und zuhören sind dabei so wichtig wie die Freude an der gemeinsamen Arbeit. Die Lehrerinnen und Lehrer der Kinder und die der Erwachsenen müssen beim "Family Learning" zusammen planen und arbeiten. Kommunikation, Schreiben und Rechnen stehen ebenso auf der Agenda wie Backen, Kochen, Basteln, Töpfern, Lernen am Computer oder gemeinsame Ausflüge. Gesundheitserziehung ist ebenfalls ein wichtiges Thema. Hier ist es gelungen, das Gesundheitsamt als Partner zu gewinnen.

"Das erweiterte Familienlernen bietet neue Erfahrungen und kann jedes Thema betreffen", erklärt Margaret Walker. "Das Familienlernen ist ein guter Weg, Gemeinschaften zu bilden." Dabei dürfe man nicht vergessen, dass "die Qualität erster Klasse sein muss", so die Managerin. "Die Lehrer müssen alle gut qualifiziert sein. Nicht jeder Lehrer ist für das Unterrichten von Familien geeignet. Sie werden deshalb sorgfältig ausgewählt." Die Schulinspektoren interessierten sich bereits für das Familienlernen, denn Kinder und Eltern sollen am Ende gute Noten und Erwachsene Qualifikationen erzielen.

"Das Familienlernen ist ein leistungsfähiger und wichtiger Teil des Bildungsplanes", resümiert Margaret Walker, "von dem alle Beteiligten profitieren. Jedes Kind ist wichtig, aber auch jeder Erwachsene."

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