StEG: Motiviert durch den Ganztag : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Welche Wirkungen haben Ganztagsangebote? Eine Frage, die Schulpraktiker und Bildungspolitik bewegt. Und vor allem auch die "Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen".
„What works?“ – „was wirkt?“ Das ist eine der zentralen Fragen der Schulforschung. In den USA gibt es seit circa zehn Jahren das „What Works Clearinghouse“ (WWC) des Institute of Education Sciences, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, Ergebnisse aus der Bildungsforschung – derzeit über 11.000 Studien – für die Praxis aufzubereiten, um Schulpraktikern, aber auch der Schulpolitik Entscheidungshilfen an die Hand zu geben. Das interessiert natürlich auch hierzulande.
Die Forschung zu außerunterrichtlichen Angeboten hat längst nicht Umfang und Stand der Schulforschung erreicht, aber die Frage „Was wirkt?“ ist hier von besonderer Bedeutung: Zusätzliche Bildungsangebote in der Schule sollen schließlich Schülerinnen und Schüler fördern, nicht nur, aber auch ihren Schulerfolg verbessern. In welcher Weise sie das tun, untersucht seit 2005 auch die Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG) und möchte damit Wissen verfügbar machen, das die Qualität von Ganztagsschulen verbessern hilft.
Unzählige Fragen stellen sich für Praktiker und Bildungsadministration, wenn es um die Ausgestaltung der Ganztagsangebote geht. Die StEG-Forscherinnen und -forscher sind gefragt, denn inzwischen sind knapp 60 Prozent aller Schulen in Deutschland Ganztagsschulen. Das Interesse spiegelt sich auch in der Präsenz der Studie auf Veranstaltungen wie der didacta im Februar 2016 in Köln oder auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) im März in Kassel.
Vertiefung in spezifische Themen
„Mit StEG wurde es möglich, Aussagen beispielsweise zur Qualität und zur Wirkung von Angeboten zu treffen“, berichtete Prof. Natalie Fischer auf dem DGfE-Kongress. „Allerdings konnten wir in der ersten Phase nicht allzu vertiefend in spezifische Themen eintauchen. Für die zweite Phase haben wir daher ein Design mit vier Teilstudien entwickelt und die Ergebnisse der ersten als Ausgangspunkt genommen. In der zweiten Phase schauen wir, ob und wie sich der Besuch von Ganztagsangeboten auf jeweils die spezifischen Fähigkeiten, die gefördert werden sollen, auswirkt.“
Am 14. April 2016 richtete sich die Aufmerksamkeit nun auf eine aktuelle Veröffentlichung, in der die entsprechenden Ergebnisse der Förderphase 2012 bis 2015 dargestellt sind. Auf einer Pressekonferenz in der Berliner Urania präsentierte das StEG-Konsortium die Broschüre „Ganztagsschule: Bildungsqualität und Wirkungen außerunterrichtlicher Angebote“.
Prof. Eckhard Klieme vom Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) in Frankfurt am Main, der Sprecher des Konsortiums, Dr. Christine Steiner vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) in München, Prof. Heinz Günter Holtappels vom Institut für Schulentwicklungsforschung (IfS) an der TU Dortmund und Prof. Ludwig Stecher von der Justus-Liebig-Universität (JLU) in Gießen zogen die Quintessenz der Ergebnisse.
Diese Ergebnisse sind in der 44 Seiten starken, ansprechend gestalteten Broschüre übersichtlich und allgemein verständlich festgehalten. Tabellen, Schaubilder, Piktogramme und Info-Kästen verdeutlichen und ergänzen die Textkapitel zu den einzelnen Teilstudien. Für den eiligen Leser sind die „Zentralen Befunde und Schlussfolgerungen“ von StEG 2012 bis 2015 in einem vorangestellten einleitenden Text zusammengefasst.
Effekte auf Sozialverhalten, Motivation und Selbstkonzept und Schulnoten
Hier ist als eine Haupterkenntnis formuliert, dass der Ganztag vor allem der psychosozialen Förderung dient: „Aus pädagogischer Sicht sind die neuerlichen Belege für die Wirksamkeit guter Ganztagsangebote auf Sozialverhalten, Motivation und Selbstkonzept hoch relevant. Sie zeigen einmal mehr, dass Ganztagsschulen für die Sozialisation von Kindern und Jugendlichen Wichtiges leisten.“
Ebenso haben musische oder soziale „Nutzungsschwerpunkte“, das heißt bestimmte Kombinationen von Ganztagsangeboten, Effekte auf die Schulnoten. In Schulnoten spiegeln sich wiederum nicht nur kognitive Fähigkeiten, sondern auch Motivation, Engagement und Verhalten wider. Zu dieser Erkenntnis passen dem StEG-Konsortium zufolge die Befunde zur psychosozialen Förderung. „Gute Ganztagsangebote fördern Sozialverhalten, Motivation, Selbstkonzept und Schulerfolg“, lautet das Fazit.
Vor den Ergebnissen stellt die Broschüre die Ziele und das Forschungsdesign der Studie dar. StEG basiert auf einem Modell von Schulqualität: Es geht von Wirkungen der außerunterrichtlichen Angebote auf die lernbezogenen Aktivitäten der Schülerinnen und Schüler aus, die wiederum Lernergebnisse und Bildungsentscheidungen beeinflussen. Um solche Wirkungen zu untersuchen, werden Merkmale der Angebote – Qualitätsmerkmale, aber auch spezifische Angebots- und Nutzungsprofile – erfasst.
Teilstudien: Unterschiedliche Methoden an verschiedenen Instituten
StEG besteht aus mehreren Teilstudien, die sich unterschiedlichen Aspekten der Ganztagsschule zuwenden. Das so genannte Systemmonitoring basiert auf zwei bundesweiten Befragungen von Schulleitungen aus den Jahren 2012 und 2015. Es ermöglicht Einblicke unter anderem in Organisation und Strukturen des Ganztagsbetriebs, in schulische Ressourcen, pädagogische Konzepte, Angebotsbreite und Teilnahmeverhalten sowie – erstmals erfragt – die Einstellung der Schulleitungen zur Inklusion.
Eine vom Institut für Schulentwicklungsforschung durchgeführte Teilstudie „Qualität und Wirkung von Ganztagsangeboten in der Primarstufe“ (StEG-P) erforschte, welche Bedeutung die Teilnahme an Ganztagsangeboten und die Qualität der Angebote für die Entwicklung von Kompetenzen im Lesen, in den Naturwissenschaften und im sozialen Lernen in der Grundschule haben. Die Forscher räumen selbst ein, dass anderthalb Schuljahre eine recht kurze Zeit seien, um Entwicklungen fachlicher Kompetenzen zu erfassen. Fachlichen Kompetenzzuwachs fanden sie nicht, mögliche Gründe werden in der Broschüre dargestellt.
Doch zeigte sich bereits in diesem vergleichsweise kurzen Zeitraum, dass Selbstkonzept, Motivation und Interessen gefördert werden, wenn die Angebote gut gestaltet sind. „Dass hier insbesondere Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund von den Ganztagsangeboten profitieren, halte ich für eines der erfreulichsten Ergebnisse unserer Studien“, betonte Prof. Klieme.
„Die Jugendlichen schätzen die Ganztagsangebote“
Übergänge im Schulsystem – von der Grundschule in die weiterführende Schule, von der Schule in die Ausbildung – sind die Gelenkstellen des Bildungserfolgs. In der Teilstudie „Stabilisierung von Bildungsverläufen durch die Ganztagsschule“ (StEG-A) des DJI ging es daher um die Frage, wie sich die Teilnahme an Ganztagsangeboten auf diese Übergänge auswirkt. Als ein Ergebnis zeigte sich, das besonders Schülerinnen und Schüler im Realschulbildungsgang – nicht nur an Realschulen, auch an integrierten Schulformen – vom Ganztag profitierten. Sie erreichten am Ende ihrer Schullaufbahn auch bessere Noten, wenn sie viele Jahre fachbezogene Angebote genutzt haben.
„Die Nutzung eher leistungsbezogener Profile hilft beim Bildungsaufstieg und beim Anstreben des Abiturs“, berichtete Dr. Christine Steiner auf der Pressekonferenz in Berlin. Warum sich solche Ergebnisse für den Hauptschulbildungsgang nicht zeigten, beschäftigt die Forscher weiter. Für die Soziologin Steiner ist jedoch auch wichtig: „Die Jugendlichen schätzen die Ganztagsangebote und fühlen sich wohl, was sich auch auf den Schulerfolg auswirkt.“
Emotionale Anerkennung
Wie muss ein Ganztagsangebot gestaltet sein, das Schülerinnen und Schüler zu Lern- und Bildungsaktivitäten anregt? Das fragten die Forscherinnen und Forscher der Justus-Liebig-Universität in ihrer Teilstudie. Ein Fazit: Schülerinnen und Schüler bewerten Gestaltung und Durchführung der Angebote deutlich positiv. Sie nehmen insbesondere die Qualität der Motivierung und die in den Angeboten erfahrene emotionale Anerkennung als gut wahr.
Dabei sei für Schülerinnen und Schülern wichtig, dass die Ganztagsangebote sich vom Unterricht unterscheiden. Prof. Stecher zitierte aus einem Interview mit der Schülerin Lara zum Thema Hausaufgabenbetreuung, die lobte, dass „uns da kein Lehrer vollquatscht“.Die zeitliche Verlängerung des Schultags reiche nicht aus, um das Potenzial der Ganztagsschule zu nutzen. „Erweiterte Lernkultur" bedeute, neue und kreative Wege zu finden, um Lern- und Bildungsprozesse bei Schülerinnen und Schülern zu unterstützen.
Kein Urteil über die einzelne Ganztagsschule
Die Ergebnisse untermauern die der ersten StEG-Studie von 2005 bis 2011: Die Qualität der Angebote ist entscheidend. Auch die freiwillige Teilnahme spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle für die Wirksamkeit. Die Studie des DIPF zeigt, dass Lesemotivation und Selbstkonzept gefördert werden, wenn Jugendliche in den Ganztagsangeboten eine hohe individuelle Anerkennung erleben.
Die StEG-Studie gibt ein Gesamtbild der Ganztagsschulentwicklung in Deutschland. Sie trifft keine Aussagen über die Entwicklungen einer einzelnen Schule, und sie bewertet erst recht nicht das Handeln der einzelnen Schulleitungen oder von Lehrerinnen und Lehrern, worauf die Forscher in der Pressekonferenz ausdrücklich hinwiesen. Dafür sind die Ganztagsschulen viel zu unterschiedlich. Die Studie kann aber Schlüsselstellen der Qualitätsentwicklung aufzeigen: die Verknüpfung von Unterricht und Angeboten zum Beispiel, die die Schulleitungen selbst bei 50 Prozent der Schulen als unzureichend ansehen, oder die Kooperation des pädagogischen Personals, für die im Schulalltag oft Zeit fehlt.
Um die Qualität insgesamt zu verbessern, braucht es nach Meinung von Prof. Ludwig Stecher auch eine Veränderung der Lehrerfortbildung. Erst in wenigen Universitäten erfolgt die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern gemeinsam mit der von Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen. Solche frühzeitigen „professionellen Begegnungen“ seien aber wichtig, um sich auf die gemeinsame Arbeit in der Ganztagsschule vorzubereiten.
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