Lehramt studieren ohne Ganztag? : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Lehramtsstudiengang und kein „Ganztag“ dabei? Die bayerische Fachtagung „Ganztagsschule in Forschung und Lehre“ ließ acht Forschungsprojekte zu Wort kommen. Impulse für Schulentwicklung, wie ein Protagonist sagt.
Der Landkreis Forchheim ist bereits bekannt – alle zwei Jahre richtet der Landkreis den Bayerischen Ganztagsschulkongress aus. Jetzt hat er sich auch zum „Forschungszentrum“ entwickelt. Am 22. November 2019 lud das Bildungsbüro des Landkreises zusammen mit der Akademie für Ganztagsschulpädagogik und dem Lehrstuhl für Grundschulpädagogik und Grundschuldidaktik der Otto-Friedrich-Universität Bamberg in das Kulturzentrum St. Gereon ein, zur Fachtagung „Ganztagsschule in Forschung und Lehre“.
Dr. Anna-Maria Seemann begrüßte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer: „Wir wollen bilanzieren, auf welche Weise das Thema Ganztagsschule in Hochschulen, Universitäten und weiteren Bildungseinrichtungen schon berücksichtigt wird, in der Lehre oder auch in Forschungsprojekten.“ In halbstündigen Vorträgen stellten acht Bildungsforscherinnen und -forscher ihre Erfahrungen nebst Forschungsprojekten vor, alles Beispiele von Universitäten und Hochschulen in Franken.
Lehramtsstudiengänge ohne Ganztag
Dr. Andreas Leipold zog gleich für zwei Lehrstühle für Schulpädagogik – der Universität Bayreuth und der Friedrich-Alexander-Universität Nürnberg-Erlangen –, an denen er Vorbereitungskurse für das 1. Staatsexamen in Schulpädagogik leitet, ein eher ernüchterndes Fazit. Er hat unter anderem Prüfungsfragen seit 2011 in Lehramtsstudiengängen gesichtet und analysiert. Das Ergebnis: „Die Ganztagsschule ist in diesem Zeitraum nur einmal im Herbst 2016 im Lehramt für das Gymnasium Gegenstand einer Frage gewesen.
Eine weitere Analyse zum Schulpraktikum wiederum zeigte, dass die Lehramtsstudierenden während des Praktikums im Unterricht eingesetzt werden. Mit außerunterrichtlichen Ganztagsangeboten kommen sie nicht in Berührung. In Nürnberg-Erlangen wird die Ganztagsschule immerhin regelmäßig kurz im Seminar „Einführung zur Schulpädagogik“ behandelt. In Bayreuth sei der Ganztag gar kein Thema.
Eine erstaunliche Leerstelle, bedenkt man, dass die Teilnahmequote der Schülerinnen und Schüler an Ganztagsangeboten inklusive Hort und Mittagsbetreuung in Bayern bei 53 Prozent liegt, wie Anna-Maria Seemann zum Auftakt festgestellt hatte. Prof. Thomas Eberle, der zur „Konzeption und Evaluation von Kultur- und Bildungsarbeit an Ganztagsschulen“ geforscht hat, sieht das Defizit ebenfalls. Doch an seiner Uni sieht es etwas anders aus.
„TAFF – Talente finden und fördern“
Eberle, Inhaber des Lehrstuhls für Schulpädagogik an der Universität Nürnberg-Erlangen, präsentierte dem Plenum Seminarmodule, in denen er das Thema Ganztag behandelt: Im Basismodul gibt es eine Vorlesung mit Begleitkurs zu den Themen Ganztagsschule und Netzwerkarbeit und Kooperation. In den Modulen „Pädagogik und Didaktik der Mittelschule“ und „Heterogenität und Inklusion“ ist der Ganztag ein Gegenstand mehrerer Seminare, beispielsweise „Methodentraining und alternative Schulformen“, „Das digitale Klassenzimmer“ oder „Deutschklasse in der Mittelschule“. Im Modul „Handlungskompetenzen“ kommt es unter anderem in den Seminaren „Elternarbeit', „Förderung von Schlüsselkompetenzen“ und „Kooperation Schule – Jugendhilfe“ vor.
Die Ganztagsschule spielt eine wichtige Rolle im Projekt „TAFF – Talente finden und fördern an der Mittelschule“, das Prof. Eberle zusammen mit Dr. Katrin Valentin seit dem Schuljahr 2015/2016 wissenschaftlich begleitet und das auf fünf Jahre angelegt ist. An 25 Mittelschulen wird ein differenziertes Angebot zur Förderung von Begabungen und Talenten mit besonderem Augenmerk auf die Berufsorientierung entwickelt und erprobt, „wobei die Ganztagsangebote systematisch in die Talentförderung einbezogen werden“, so Katrin Valentin.
Die Reflexion über Stärken und Talente seien essenziell für die Begabungsförderung und ein Gewinn für die Schülerinnen und Schüler. Online-Befragungen der Jugendlichen, Hospitationen an sechs Schulen, Gruppendiskussionen und Befragungen der AG-Leiterinnen und -Leiter hätten ein ermutigendes Resultat gezeigt. Nur bis zu 3 Prozent der Leiter haben angegeben, dass sie überhaupt keine Talente bei den Jugendlichen entdeckt hätten. Interessant sei gewesen, dass manche Wahlpflichtangebote von einigen Schülerinnen und Schülern als freiwillig empfunden worden seien.
Ganztags-AG zur Förderung sozialer und emotionaler Kompetenz
„Eine starke Reise für die Gruppe“ heißt ein Projekt zur Förderung sozialer Kompetenzen, das Heike Moyano-Schmitt, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Bamberg, vorstellte. „Wir wollen wissen, ob die offene Ganztagsgrundschule und die Mittagsbetreuung sozial-emotionale Kompetenz fördert, und ob die Intervention bei den Akteuren Akzeptanz findet“, berichtete sie.
An 13 Grundschulen in Forchheim wird eine Interventionsstudie durchgeführt, im aktuellen Schuljahr 2019/2020 mit voraussichtlich 200 Schülerinnen und Schülern und einer etwa gleich großen Kontrollgruppe. In einer einstündigen AG sollen soziale und emotionale Kompetenzen erworben oder verbessert werden, beispielsweise die Kompetenz, Gefühle bei sich und anderen zu erkennen und zu reflektieren. An drei Messzeitpunkten werden die Kompetenzen getestet, um Entwicklungen zu sehen. Es ist angedacht, dass Projekt auch auf Mittelschulen und Gymnasien auszuweiten.
Von einem Kooperationsprojekt im Landkreis Forchheim „Medienbildung und Literacy“ berichtete Dr. Volker Titel von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. In 36 Kitas, 26 Grundschulen und 20 weiterführenden Schulen untersuchte der Kultur- und Medienwissenschaftler „Nutzungsformen und Erwartungshaltungen in Bezug auf Mediennutzung“ und deren Rolle im Ganztag. Studierende aus Projektseminaren führten dazu Interviews.
Schulsozialarbeit ist kein „Pausenclown“
Volker Titel formulierte zwei Erkenntnisse: „Für die Ganztagsangebote wird noch nach Orientierung gesucht. Viele haben aber begonnen, deren Potenziale in der Medienbildung zu nutzen. Und die Eltern merken oft schon, dass in der Ganztagsschule ein besseres pädagogisches Konzept als in der Mittagsbetreuung gefahren werden kann.“
Über die „Ganztagsschule in Bayern aus Sicht der Schulsozialarbeit“ sprach Prof. Christina Zitzmann von der Technischen Hochschule Nürnberg „Georg Simon Ohm“. Ihre Erfahrung ist, dass immer noch in mancher Schule die Schulsozialarbeit als „flexibler Dienstleister“, als eine Art Feuerwehr – es fielen auch Worte wie „Pausenclown“ – gesehen werde, nach dem Motto „Wir brauchen noch jemanden für den Nachmittag“.
Umgekehrt werde die Kooperation mit der Schule schwierig, wenn die Jugendhilfe auf Autonomie pocht, statt ihre Palette an Methoden der sozialen Arbeit in der Schule einzubringen oder Lehrkräfte dafür zu sensibilisieren. „Damit die Kooperation gelingt, sollten die Schülerinnen und Schüler einbezogen werden“, zeigte sich die Sozialwissenschaftlerin überzeugt. Auch die Nutzung „anderer Lernorte“ wie des Sozialraums empfahl sie. Organisatorisch müsse es „klare Verantwortlichkeiten und gemeinsame Bildungsziele“ geben. Zeiten für den Austausch seien dringend notwendig, „denn Teamarbeit kann man nicht nebenbei machen“.
Forschung: Impuls zur Qualitätsentwicklung
Bildungsforscherin und Praktikerin zugleich ist Dr. Stephanie Staudner, Lehrerin an der Grundschule „Gotthold Ephraim Lessing“ in Ingolstadt. In ihrem Beitrag „Vorwissen und Einstellungen von Lehrkräften zum Ganztag“ – ein Thema, das sie selbst gründlich erforscht hat – berichtete sie: „Bei einer Befragung an meiner Schule nannten die Kolleginnen und Kollegen besonders Förderung und Sprachförderung und die verbesserte Beziehungsqualität zu den Kindern als die größten Vorteile der gebundenen Ganztagsschule. Als nachteilig empfanden einige den sehr langen Schultag für die Kinder.“
Fragen für die Zukunft könnten laut Stephanie Staudner lauten, wie die einzelne Schule bei der Weiterentwicklung des Ganztagsangebots unterstützt werden könne. Und: „Wie kann die Qualität einer Ganztagsschule entwickelt, verbessert und gesichert werden?“ Volker Titel ist sich sicher, dass „wir mit qualitativer Forschung auch Impulse für die Schulentwicklung geben können“. In Forchheim wurde dazu bereits eine beeindruckende Bandbreite sichtbar.
Kategorien: Kooperationen - Kinder- und Jugendhilfe
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