Der Mix machts. Oder: "Mixed Methods" für die Ganztagsschulforschung : Datum: Autor: Autor/in: Peer Zickgraf

Lange Zeit standen sich die Vertreter qualitativer und quantitativer Methoden relativ unversöhnlich gegenüber. Die Tagung der Arbeitsgruppe für Empirische Pädagogische Forschung (AEPF), die vom 13. bis 15. September 2010 in der Friedrich-Schiller-Universität in Jena stattfand, widmete sich den "Mixed Methods", das heißt, dem kombinierten Einsatz unterschiedlicher Forschungsmethoden. Das Symposium "Ganztagsschule, Integration und Sozialisation" stellte Forschungen zur Ganztagsschule vor.

Das Ganztagsschulprogramm des Bundes hat Dynamik in das Bildungssystem gebracht: Neben 7.200 neuen Ganztagsschulen, die, auch wenn viele erst am Anfang sind, eine veränderte Schulkultur etablieren, wurden die "Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen" (StEG) sowie weitere Forschungen auf den Weg gebracht.

Das Bildungssystem ist seit der PISA-Studie 2000 nicht nur vielschichtiger, weltoffener, pragmatischer geworden, auch die Bildungsforschung hat sich ausgeweitet und orientiert sich zunehmend an internationalen Standards. Hinwendung zur Empirie und Multiperspektivität sind gewissermaßen zu ihrem Markenzeichen geworden.

Vom Methodenstreit zum Methodenmix

Die Arbeitsgruppe für Empirische Pädagogische Forschung (AEPF) will mit ihren rund 250 Mitgliedern die empirische Forschung in der Erziehungswissenschaft stärken und ihr durch halbjährliche Tagungen mehr Gewicht verleihen. In zahlreichen Symposien stellen Bildungsforscher hier regelmäßig ihre laufenden Projekte vor. Vom 13. bis 15. September 2010 fand die 74. AEPF-Tagung in der Friedrich-Schiller-Universität in Jena statt. Wie schon in den letzten Jahren, war auch die Ganztagsschulforschung vertreten.

Thema der Tagung waren "Mixed Methods", also der kombinierte Einsatz unterschiedlicher Forschungsmethoden. In der Kombination von Methoden wird die Chance gesehen, Defizite einzelner Methoden zu kompensieren. "Qualitative und quantitative Methoden werden nicht mehr als Gegensätze, sondern vielmehr als einzelne Forschungsschritte betrachtet, die miteinander verbunden werden können", heißt es im Tagungsprogramm. Häufig wird auch von "Triangulation" der Daten gesprochen, das heißt, eine Fragestellung wird aus mehreren Blickwinkeln (und mit verschiedenen Methoden) bearbeitet.

Über das Ziel - ob sich "die Ergebnisse gegenseitig unterstützen und ergänzen sollen", wie es auf der AEPF-Website heißt, oder ob die jeweiligen Perspektiven auf den Gegenstand gerade die Begrenzungen der Einzelmethode sichtbar machen sollen - sind die Forscher unterschiedlicher Auffassung. Die Forschung zur Ganztagsschule, angefangen von der StEG-Studie bis zu vertiefenden Einzelstudien, steht gewissermaßen paradigmatisch für die Herausforderungen und die Frage, mit welchen Forschungsmethoden die Entwicklung und Nutzung schulischer Ganztagsangebote am besten zu erfassen sind.

Komplexe Fragen, anspruchsvolle Forschungsdesigns

Der Methodenforscher, Prof. Philipp Mayring von der Universität Klagenfurt, bekannt für seine Publikationen zur "Qualitativen Inhaltsanalyse", führte zum Auftakt der Tagung in die Fragestellung und Problematik ein. In seinem Vortrag "Mixed Methods - ein Plädoyer für gemeinsame Forschungsstandards qualitativer und quantitativer Analyse" zeigte er zunächst, mit welchen Schwierigkeiten qualitative Forschung vor Jahren noch zu kämpfen hatte. Mit Blick auf die Methodendiskussion könne sogar von einem "science war" die Rede sein.

Während die qualitative Sozialforschung sich der Untersuchung von Prozessen bzw. (historischen) Dynamiken verschrieben hatte und sich dabei auch als "kritische Forschung" gegenüber der Linearität quantitativer Methoden verstand, wurden von der anderen Seite oft qualitative Forschungen massiv infrage gestellt, weil das Zustandekommen ihrer Ergebnisse nicht selten das Geheimnis der Forscher blieb. So ergab eine Analyse von 68 qualitativen psychologischen Studien aus den Jahren 2005 bis 2008, dass eine angemessene Beschreibung des Samples und die Nachvollziehbarkeit der Interpretationen nur bei 43 Arbeiten (63 Prozent) gegeben war.

Erarbeitung gemeinsamer Wissenschaftsstandards

Mayring sprach sich für gemeinsame Forschungsstandards aus, die die streitenden Parteien miteinander in Dialog bringen. So gehöre in jede Studie eine Diskussion der verwendeten Methoden. Zu den Standards gehöre ebenso die Besinnung auf gemeinsame Wissenschaftskriterien für qualitativ und quantitativ orientierte Forschung. Wichtig seien die Orientierung an systematischen Ablaufmodellen, die begründete Kombination und Integration verschiedener methodischer Ansätze sowie die Diskussion von Gütekriterien. Die zunehmende Komplexität der Fragestellungen in der sozialwissenschaftlichen Forschung erfordere die Verknüpfung mit dem (internationalen) Stand der Forschung, multiple Studien, Forschungsverbünde und Interdisziplinarität.

Was die von Mayring eingeforderten Gütekriterien betrifft, bietet sich für die Forschung zur Ganztagsschule ein positives Bild: Die meisten der Projekte sind nicht nur in länder- und disziplinenübergreifende Forschungsverbünde eingebettet, sondern auch der Multiperspektivität auf die jeweilige Fragestellung verpflichtet. Beispiel ist die StEG-Studie, die in einem Forschungsverbund erarbeitet wird, an dem neben dem Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) Forscher des Deutsche Jugendinstituts (DJI), des Instituts für Schulentwicklungsforschung (ISF) und der Justus Liebig-Universität Gießen beteiligt sind.

Die Längsschnittstudie beleuchtet die Einführung, Entwicklung und Wirkung von Ganztagsangeboten aus der Sicht aller wichtigen Akteure: der Schulleitungen, Lehrkräfte und des weiteren pädagogischen Personals, der Schülerinnen und Schüler, der Eltern und der schulischen Kooperationspartner. Die Ergebnisse der quantitativen Studie finden internationale Beachtung (zuletzt in der New York Times), und sie werden auf internationalen wissenschaftlichen Symposien vorgestellt und diskutiert, denn die Bedeutung außerunterrichtlicher Angebote, gerade im Hinblick auf die soziale Schere beim Bildungserwerb, wird nicht nur in Deutschland zunehmend erkannt.

Mixed Methods in der Ganztagsschulforschung

Links: Das Symposium, rechts: Prof. Reinders
Das Symposium "Ganztagsschule, Integration und Sozialisation" wurde von Prof. Heinz Reinders geleitet. © Christian Seidler

Die Ganztagsschulforschung stellte sich auf der AEPF-Tagung im Rahmen des Symposiums 9, "Ganztagsschule, Integration und Sozialisation", das mit rund 70 Interessierten voll besetzt war, vor. Das Symposium wurde von Heinz Reinders, Professor für Empirische Bildungsforschung an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, und Ingrid Gogolin, Professorin für "International und Interkulturell Vergleichende Erziehungswissenschaft" an der Universität Hamburg moderiert. Im Mittelpunkt stand die Frage, welche besonderen Bedingungen, Bildungsprozesse und Erträge die Ganztagsschule mit sich bringt - mit Blick auf die Sozialisation der Schüler allgemein und die Integration benachteiligter Kinder und Jugendlicher im Besonderen.

Laut Prof. Reinders kommt die Ganztagsschulforschung an dem kombinierten Einsatz von quantitativen und qualitativen Methoden nicht mehr vorbei. Dies hänge damit zusammen, dass die Fragestellungen und Perspektiven auf Ganztagsschulen zunehmend komplex geworden seien. Da die empirische Bildungsforschung schließlich auch beanspruche, praxisrelevante Themen - bis hin zu Empfehlungen für die Schulen - zu erarbeiten, müssten sich auch die Methoden daran ausrichten: "Die vom BMBF geförderte Ganztagsschulforschung hat hier deutliche Impulse gesetzt."

Bildungsprozesse kennzeichnet eine hohe Komplexität der Wirkfaktoren. Einfache Methoden wie die Untersuchung von Korrelationen würden dem nicht gerecht. Mehrebenenmodelle sind dagegen, so Reinders, mittlerweile Standard in der gegenwärtigen Schulforschung. In der Ganztagsschulforschung müssten quantitative Methoden eingesetzt werden, insofern eine (global) vergleichende Perspektive eingenommen werde. Da sich jedoch die Einzelschulen stärker voneinander unterschieden als es Unterschiede zwischen den Schulformen Ganztags- und Halbtagsschule gibt, müssten zusätzlich zu quantitativen auch qualitative Methoden zum Einsatz kommen, da sie den Besonderheiten der einzelnen Schule besser gerecht würden.

Integration und Sozialisation durch Ganztagsschulen

Schule als sozialer Ort dient nicht nur kognitiven Lernprozessen, sondern wirkt an der Persönlichkeitsentwicklung mit. Zugleich gehört es zu ihrem Auftrag, zur Kompensation möglicher Disparitäten beizutragen. Am Symposium "Ganztagsschule, Integration und Sozialisation" beteiligten sich sechs Forschungsprojekte mit insgesamt acht Vorträgen. Mehrere Projekte folgen dabei der "time-on-task-Hypothese" - das heißt: Mehr verfügbare Lernzeit sollte zu besseren Lernergebnissen führen, wobei zu den "Lernergebnissen" auch soziales Lernen, Motivation, Sprachkompetenz und anderes gehören.

Im ersten Teil ging es um Fragen der Integration. Unter der Überschrift "Ganztagsschule für ein sozial gerechteres Bildungssystem? Befunde aus StEG zu kompensatorischen Wirkungen für bildungsbenachteiligte Gruppen" eröffnete Hans Peter Kuhn, Professor für empirische Bildungsforschung an der Universität Kassel und gemeinsam mit Dr. Natalie Fischer und Felix Brümmer an der StEG-Studie beteiligt, die Vortragsreihe. Anhand einer StEG-Teilstichprobe von 12.990 Schülerinnen und Schülern, die 2005 die 5. bzw. 7. Klasse und 2007 die 7. bzw. 9. Klasse besuchten, berichtete er über die Wirkungen der Teilnahme an Ganztagsangeboten auf das soziale Lernen bzw. Sozialverhalten.

Insbesondere für Jungen zeigten sich Effekte der Verminderung devianten Verhaltens (z. B. Störungen im Unterricht, Gewalt gegen Mitschüler/innen). Vor allem aber die Qualität der Angebote ist entscheidend: Sie wirkt sich bei Jungen positiv auf die Entwicklung der sozialen Verantwortungsübernahme (gegenüber Mitschülern, Klassenräumen und Unterricht) aus. Gerade in der wichtigen Entwicklungsphase zwischen der 5. und der 7. Klasse reagierten die Schüler besonders sensitiv auf die Ausgestaltung der Angebote.

Im Projekt "Ganztagsschulorganisation im Grundschulbereich (GO)" wurden über drei Messzeitpunkte hinweg zum einen Testleistungen von Schülerinnen und Schülern, zum anderen Einschätzungen der Lehrkräfte zur Leistungsentwicklung erhoben. Prof. Dr. Hans Merkens von der FU Berlin stellte die gemeinsam mit Dr. Nicole Bellin-Mularski erarbeiteten Befunde "Zur Wirkung primärer sozialer Disparitäten in der Schulanfangsphase an Ganztagsschulen" vor. Die personalen Ressourcen, über die Kinder am Beginn der Grundschule verfügen, üben einen wesentlichen Einfluss auf ihre Leistungsentwicklung in der deutschen Sprache und in Mathematik aus.

Es wurde ein erheblicher Anteil der Varianz mit Hilfe von Variablen aufgeklärt, mit denen Unterschiede am Beginn der Grundschule gemessen worden waren. Die Befunde warfen wichtige Fragen auf: Kann die Schule primäre Herkunftseffekte kompensieren, oder ist es nicht bereits eine bedeutsame Leistung der Schule, wenn sie das weitere Auseinanderdriften der Leistungsverläufe verhindert? Diskutiert wurde anschließend, wie aussagekräftig Einschätzungen von Lehrkräften seien und ob es zur Analyse der Lernentwicklung in der Schuleingangsphase eines erweiterten Methodenrepertoires bedürfe.

Integration durch Sprache und durch Freundschaften

Im Projekt "Ganztagsschule und Integrationsprozesse bei Migranten" (GIM) geht es um die Frage, ob Ganztagsschulen mehr als Halbtagsschulen die Integration fördern und welche Merkmale von Ganztagsschulen die Entwicklung interkultureller, soziokultureller und sprachlicher Fähigkeiten begünstigen. Jule Böhmer und Nina Bremm von der Universität Hamburg widmeten sich dem "Einfluss auf die sprachlichen Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund" im Vergleich von Halbtags- und Ganztagsschulen.

Links: Teilnehmer des Symposiums. Rechts: Annegret Schmalfeld.
Rechts: Annegret Schmalfeld während ihres Vortrags über Peer-Beziehungen in der Ganztagsschule. © Christian Seidler

Das Projekt setzte Sprachtests ein, mit denen allgemein- und bildungssprachliche Fähigkeiten in der Zweitsprache Deutsch und den Herkunftssprachen Türkisch und Russisch erhoben wurden, denn insbesondere bildungssprachliche Fähigkeiten gelten als maßgeblich für den Bildungserfolg. Hinzu kamen Erhebungen zu kognitiven Fähigkeiten, sozio-ökonomischem Hintergrund, kulturellem Kapital und zur Migrationsgeschichte sowie Eltern-, Lehrer- und Schulleiterbefragungen. Insgesamt waren ca. 1.300 Fünftklässler aus Bayern und Hamburg einbezogen. Im allgemeinsprachlichen Bereich erzielten Ganztagsschüler signifikant bessere Ergebnisse als Halbtagsschüler.

Ohne Gymnasien fanden sich keine signifikanten Unterschiede. Während in Bayern Schüler ohne Migrationshintergrund signifikant bessere Ergebnisse als Schüler mit türkischem Migrationshintergrund erzielten, gab es in Hamburg keine Unterschiede. Schüler mit türkischem Migrationshintergrund, die eine Ganztagsschule in Hamburg besuchten (in Bayern gab es keine Ganztagsgymnasien) schnitten besser ab als Schüler ohne Migrationshintergrund derselben Gruppe.

Soziale Integration zwischen Kindern unterschiedlicher Herkunft erfolgt elementar über Freundschaften. Dieser Aspekt ist bisher, so Anne Gresser und Simone Schnurr von der Universität Würzburg, für die Grundschule kaum untersucht, denn methodisch sei eine standardisierte Erhebung bei Kindern in ersten oder zweiten Klassen schwer zu realisieren. Umso interessanter waren Ergebnisse ihrer Analyse zum "Einfluss schulischer und individueller Merkmale auf die Entstehungsbedingung von Freundschaften zwischen Kindern unterschiedlicher Herkunftsländer".

Die Zahl interethnischer Freundschaften steigt mit dem Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund an der Schule. An Ganztagsschulen ist die Häufigkeit jedoch unabhängig vom Migrantenanteil. Dies ist insofern spannend für die weitere Ganztagsschulforschung, so Gesamtprojektleiter Heinz Reinders, als dass an Ganztagsschulen offenbar eine Programmatik verfolgt wird, die interethnische Freundschaften unabhängig vom Migrantenanteil an einer Schule begünstigt. Im zweiten Teil standen Fragen der Sozialisation und des Zusammenspiels von Schule und anderen Sozialisationsinstanzen im Vordergrund.

"Problemgruppe" Mittelschicht

Oft sind sozial benachteiligte Schülerinnen und Schüler im Blickpunkt der Bildungsforschung. Regina Soremski widmete sich "Integrationsfragen" anderer Art: Insbesondere Mittelschichtkinder, deren Bildungsorientierung als besonders anschlussfähig an schulische Bildungsinhalte gilt, haben heute eine terminlich und institutionell stark reglementierte Freizeit. Wie also geht die Mittelschicht mit dem Ganztag um? In ihrem Vortrag berichtete Regina Soremski über "Integrationsprobleme außerschulischer und schulischer Freizeit im Alltag jugendlicher Ganztagsschülerinnen und ­schüler".

Das gemeinsam mit Prof. Dr. Andreas Lange am Deutschen Jugendinstitut München durchgeführte Forschungsprojekt "Familie und Ganztagsschule" untersucht, wie die Ganztagsschule den Alltag von Schülern und Familien verändert. Das Projekt arbeitet mit einer Triangulation qualitativer Daten: Interviews, teilnehmender Beobachtung und Online-Tagebüchern, in denen die Jugendlichen für zwei Wochen ihren gesamten Tagesablauf festhielten.

Die Ergebnisse zeigen, dass Jugendliche der Mittelschicht nicht auf die Ganztagsschule angewiesen sind, sondern deren Angebote eher zusätzlich zu ihren vielfältigen Freizeitaktivitäten zu nutzen verstehen. Manche bekommen dann ein "Vereinbarkeitsproblem". Anderen Jugendlichen gelingt die Integration der Ganztagsangebote in ihre Freizeitpraxis hingegen sehr gut, weil ihre Schulfreunde zur Peer-Group auch in der Freizeit werden.

Ganztagsschule als "Kontaktbörse"

Die von Prof. Dr. Maria von Salisch (Leuphana Universität Lüneburg) geleitete Längsschnittstudie "Peers in Netzwerken (PIN)", in der ca. 400 Schülerinnen und Schüler in Brandenburg am Anfang und am Ende der 7. Klasse - also nach dem Wechsel auf die Sekundarschule - befragt wurden, hat zum Ausgangspunkt, dass Freundschaften den Übergang in die Sekundarstufe unterstützen und die weitere Ausbildung sozialer und emotionaler Kompetenzen, wie das Verstehen der Gefühle anderer Menschen, befördern. Vor dem Hintergrund, dass die Schule eine "Kontaktbörse für Peerbeziehungen" ist, fragte Annegret Schmalfeld in ihrem Vortrag: "Bietet die Ganztagsschule Raum für den Aufbau und die Pflege von vertrauensvollen Freundschaften?"

In einer qualitativen Studie hat sie anhand leitfadengestützter Interviews mit Jugendlichen die Veränderungen der Freundschaften nach dem Wechsel in die Ganztagsschule untersucht. Dr. Rimma Kanevski knüpfte in ihrem Vortrag "Kompetenzentwicklung im Peer-Kontext in der Ganztagsschule" daran an und sprach von einem "dynamischen Wandel im Beziehungsgefüge": Im Laufe des 7. Schuljahres verblassten außerschulische Beziehungen, während innerschulische stark zunahmen. Gleichzeitig weiteten sich die Unterstützungsleistungen vor allem an der Ganztagsschule aus. Jugendliche aus Ganztagsschulen verfügen dabei über größere Freundschaftsnetzwerke als Halbtagsschüler.

Perspektiven empirischer Forschung

Für den Erziehungswissenschaftler Heinz Reinders gibt es keinen Zweifel, dass neben der empirischen auch die traditionelle geisteswissenschaftliche Pädagogik ihre Bedeutung behalte. Die Bildungstheorie zum Beispiel sei schließlich wichtig für die Hypothesenbildung, die durch empirische Methoden überprüft werden müssten. Empirische Methoden müssten nicht nur gut dokumentiert, sondern für alle hinreichend transparent gestaltet sein und schließlich auch so vermittelt werden, dass die Ergebnisse auch für "Otto-Normal-Verbraucher" nachvollziehbar seien.

Im Symposium sei es gelungen, die Aussagen durch die Befunde gut zu unterfüttern und sie dem Auditorium zu vermitteln. Schwerpunkte der Präsentation waren einerseits Migrationsaspekte sowie andererseits die Sozialisationsaspekte von Ganztagsschule. Beim Thema Integration sei nicht nur der Vergleich von Schulen mittels quantitativer Methoden relevant, sondern auch die Perspektive auf die einzelne Schule. Belegbar sei, dass die Ganztagsschule für die Integration und die Lernleistungen der Schülerinnen und Schüler besonders viel leistet.

Aus der Sozialisationsperspektive lässt sich festhalten, dass die Ganztagsschule für die Kinder und Jugendlichen keinen "Freizeitstress" bedeuten dürfe, sondern dass die Qualität des Angebots eine sinnvolle Bereicherung darstellen müsse. Laut Heinz Reinders hat der wissenschaftliche Austausch auf der AEPF-Tagung gezeigt, dass die weitere Erforschung der Wirkungen von Ganztagsschulen auf die Kinder und Jugendlichen besonders in folgenden Bereichen weiter zu verfolgen sei: im Hinblick auf die Integration von Schülern mit Migrationshintergrund, im Hinblick auf die Lernleistungen der Schüler und im gesamten Bereich der schulischen Sozialisation und der Persönlichkeitsentwicklung der der einzelnen Schülerin und des einzelnen Schülers. Reinders resümierte: "Wir müssen von der Vogelperspektive auf die Perspektive der Einzelschule kommen."

Die Redaktion dankt dem Fotografen Christian Seidler, die Rechte für dessen Fotos liegen allein beim Urheber: christian-seidler@gmx.de

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