Bildungsdialog „Ganztagsschule erfolgreich gestalten“ : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Um die Ganztagsschule ging es beim diesjährigen IfS-Bildungsdialog des Instituts für Schulentwicklungsforschung Dortmund. Dort stellte StEG-Lesen vor, wie ein „Detektiv-Club“ die Lesekompetenz fördert.

Lehrerin und Schülerinnen betrachten ein Buch
Zeit im Ganztag nutzen, um Kompetenzen zu verbessern... © Britta Hüning

Seit 2016 lädt das Institut für Schulentwicklungsforschung (IfS) der Technischen Universität Dortmund einmal jährlich zum IfS-Bildungsdialog. Diskutiert wird immer ein eingegrenztes Thema mit Teilnehmenden aus Bildungsadministration, Bildungspolitik, Bildungspraxis und Bildungsforschung. In diesem Jahr stand der Ganztag auf der Agenda. Unter der Überschrift „Ganztagsschule erfolgreich gestalten“ widmeten sich rund 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer am 19. September 2019 im IfS verschiedenen Aspekten wie „Individuelle Fachförderung“, „Persönlichkeitsentwicklung und Förderung von sozialen Kompetenzen“ sowie der „Organisations- und Professionsentwicklung in Ganztagsschulen“.

Für das IfS und Prof. Heinz Günter Holtappels, den Direktor der Arbeitsgruppe Schulentwicklung und Schulwirksamkeit, und sein Team war das Thema quasi ein „Heimspiel“, denn das IfS ist eine von vier Institutionen, die seit 2005 das Konsortium der „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG)“ bilden. Aktuell führt das IfS zusammen mit dem Institut für Erziehungswissenschaft der Pädagogischen Hochschule Freiburg die Teilstudie StEG-Lesen durch. Erste, mit Spannung erwartete Ergebnisse dieser Teilstudie stellten Dr. Karin Lossen und Frederick Osadnick auf der Tagung vor.

Zur Begrüßung lobte Heinz Günter Holtappels noch einmal das Investitionsprogramm „Zukunft Bildung und Betreuung“ (IZBB): „Ohne diese 4 Milliarden Euro für Ausstattung und Bauten von Ganztagsschulen gäbe es heute nicht 70 Prozent Ganztagsschulen. Irgendwer muss so ein Programm anschieben, und das war in diesem Fall der Bund, auch mit erheblichen finanziellem Engagement durch Länder und Kommunen.“

Ganztagsschule ein Erfolgsmodell

Für die Länderseite erklärte Ministerialdirigentin Susanne Blasberg-Bense aus dem Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen: „Das Schulsystem will und muss dem rasanten Wandel der Gesellschaft Rechnung tragen, und der Ausbau der Ganztagsschulen leistet einen essentiellen Beitrag, auch, um Herausforderungen wie Heterogenität und Digitalisierung Rechnung zu tragen.“

Für Prof. em. Klaus-Jürgen Tillmann ist die Ganztagsschule „ein Erfolgsmodell“. Man dürfe den quantitativen Ausbau der letzten 15 Jahre, der dazu geführt hat, dass inzwischen rund 45 Prozent der Schülerinnen und Schüler teilnehmen, und die Nachfrage der Eltern, von denen 70 Prozent einen Ganztagsschulplatz für ihre Kinder wollten, nicht geringschätzen: „Es ist noch gar nicht so lange her, da wurde von der Ganztagsschule ein Angriff auf die Familie befürchtet.“ Ganztagsschulen müssten jetzt durch pädagogische Qualität überzeugen, „und da bleibt noch einiges zu tun“.

Tillmann, der viele Jahre Professor für Schulpädagogik an der Universität Bielefeld war, empfahl eine „Schwerpunktsetzung“: Ganztagsschulen sollten sich auf bestimmte Ziele wie zum Beispiel „Kompetenzsteigerung“ konzentrieren. Das multiprofessionelle Arbeiten sah er als ein bereicherndes Kennzeichen einer Ganztagsschule, das noch nicht überall ausreichend in Gang komme. Viele Lehrkräfte wollen sich Tillmann zufolge auf den Fachunterricht konzentrieren, und laut der StEG-Schulleitungsbefragung arbeiten nur rund 36 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer im Ganztag mit.

StEG-Lesen: Lesekompetenz mit dem „Detektiv-Club“

Wie die zusätzliche Zeit im Ganztag genutzt werden kann, um die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler – in diesem Fall der Lesekompetenz – zu verbessern, hat das Projekt StEG-Lesen seit 2016 mit einer sogenannten Interventionsstudie untersucht. An 22 Ganztagsgrundschulen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz wurde über zwei Schuljahre die Lesekompetenz von rund 1.000 Schülerinnen und Schülern der 3. und 4. Klassen gemessen. Aber nicht nur das: Für die Studie hat das StEG-Team daher mit Deutschdidaktikern und Schulpraktikern eigens eine AG zur Leseförderung und die dazugehörigen Materialien entwickelt: den „Detektiv-Club“.

Projektleiterin Dr. Karin Lossen beschrieb den „Detektiv-Club“: „Es gibt fünf optisch ansprechend und vielfältig gestaltete Materialhefte und Zubehör mit jeweils einem Detektivfall, der an die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler anknüpft. Die Themen sind für alle Kinder interessant, und die Fälle spielen an Orten, die sie kennen. Die Fälle sind immer gleich strukturiert und können in Einzel-, Partner- oder Gruppenarbeit gelöst werden. Es gibt Differenzierungsmöglichkeiten und spannende Rätselaufgaben.“

Gruppenfoto der Referentinnen und Referenten des Bildungsdialogs
Die Referentinnen und Referenten des Bildungsdialogs © Martina Hengesbach

Methodisch ging das Team in der Studie dann so vor, dass Schülerinnen und Schüler der 4. Klasse über einen Zeitraum von etwa vier Monaten einmal in der Woche für 60 bis 90 Minuten in einer Arbeitsgemeinschaft mit dem Leseprogramm arbeitete. Geübt wurden dabei Lesestrategien und Leseflüssigkeit. Um die Lernwirksamkeit zu messen, wurden ihre Lesekompetenzen vor und nach der Teilnahme an der Arbeitsgemeinschaft getestet und mit der Leistungsentwicklung von Schülerinnen und Schülern verglichen, die nicht an einem solchen Programm teilgenommen hatten.

Wie sahen nun die Ergebnisse aus? Sehr positiv kam der „Detektiv-Club“ auf jeden Fall bei den Schülerinnen und Schülern, aber auch bei den Lehrkräften an. „90 Prozent der Kinder hatten Spaß in der Arbeit mit den Materialheften, und 90 Prozent der Lehrkräfte und außerschulischen Fachkräfte gaben an, den Detektiv-Club nochmals durchführen zu wollen“, berichtete Frederik Osadnik. Aber am wichtigsten: „Alle Schülerinnen und Schüler der Detektiv-Club-Gruppe zeigen eine Steigerung der Lesekompetenz. Auch anfangs schwache Leserinnen und Leser sind signifikant besser geworden. Für uns ist das der Nachweis, dass kompetenzbasierte Angebote lernwirksam sein können.“

Harkortschule Witten: Im Tandem fördern

Die Harkortschule, eine offene Ganztagsgrundschule in Witten, praktiziert multiprofessionelle Zusammenarbeit schon lange. Schulleiterin Ulrike Gilsebach erläuterte dem Plenum, wie an ihrer OGS die Kooperation zwischen Lehrkräften und Erzieherinnen gelingt: „Um gemeinsam Kinder individuell zu fördern, müssen beide Berufsgruppen ins Gespräch kommen. Sie müssen gemeinsam die Ziele definieren und Methoden festlegen. Das funktioniert bei uns mit festen Tandems aus einer Lehrkraft und einer außerschulischen Fachkraft, die sich einmal in der Woche beraten.“

An der Harkortschule stehen somit Lehrkräfte und Erzieherinnen gleichberechtigt vor den Klassen. In einem längeren Prozess hat die Schule die Hausaufgaben abgeschafft und durch individuelle Aufgaben in der ersten Stunde morgens und in den nachmittäglichen Lernzeiten ersetzt. Neben den Erzieherinnen sind auch Lehrkräfte und sogar Schülerinnen und Schüler zur Unterstützung anwesend. „In einem Vorbereitungsteam 'Jahrgangsübergreifendes Lernen' sind ebenfalls immer Erzieherinnen dabei und Lehrerinnen wiederum bei den Teambesprechungen der Erzieherinnen“, wie Ulrike Gilsebach erläuterte.

Die Teams seien immer gut über die curricularen Themen informiert. Sie erstellen ein fachlich abgestimmtes Konzept zur individuellen Förderung. Die offene Ganztagsgrundschule ist für die Schulleiterin „ein System, das viel Kreativität erfordert. Wir basteln ständig und fragen uns, was wir machen können, um besser zu werden. Wir reden, reden, reden. Wichtig ist es, das ganze Team mitzunehmen.“

Nachholbedarf bei multiprofessioneller Zusammenarbeit

Blick ins Publikum des Bildungsdialogs
Vollbesetzte Reihen im IfS © Martina Hengesbach

Für Katja Tillmann ist die Kooperationskultur, wie sie die Harkortschule erfolgreich praktiziert, noch nicht die Regel in Ganztagsschulen. Auch nach 15 Jahren sind nicht überall Lehrkräfte und außerschulische Fachkräfte gleichermaßen in die Schulkultur eingebunden. Nur die Hälfte der durch StEG untersuchten Schulen hätten feste Zeiten für Kooperation. Laut Dr. Stephan Kielblock, Koordinator der StEG-Studie im Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF), sind aber in 90 Prozent der Ganztagsschulen außerschulische pädagogische Fachkräfte tätig, wobei „kein unerheblicher Teil des Personals mehrere Qualifikationen besitzt“ und der „erweiterte pädagogische Blick gewinnbringend ist“. Beide waren sich einig, dass die multiprofessionelle Teamarbeit schon in die Ausbildung gehört.

In der abschließenden Podiumsdiskussion des Bildungsdialogs mit Ministerialdirigent Dr. Stefan Luther vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, Dr. Uwe Schulz vom Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration Nordrhein-Westfalen, Carina Merth vom Ganztagsschulverband und Dr. Michael Maas vom AWO Bezirksverband Niederrhein wurden die Fülle der Informationen und der Geist der Veranstaltung auf den Punkt gebracht: „Es ist beeindruckend zu sehen, was alles vor Ort in den Ganztagsschulen geleistet wird, und ebenso beeindruckend, den Beitrag der Forschung an der Entwicklung zu sehen.“

 

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Kategorien: Service - Kurzmeldungen

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