10. Ganztagsschulkongress: Zauberformel Bildungslandschaften? : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Lokale Bildungslandschaften gelten als Zauberformel, wenn es darum geht, Heranwachsende von der Kita bis in den Beruf zu unterstützen. Was aber muss passieren, damit sich hier für alle Beteiligten eine Win-win-Situation einstellt? Die "Öffnung von Schule, Kooperation und Bildungslandschaften" diskutierten Teilnehmende im Salon.

Lokale Bildungslandschaft. Diese kann schon mit der Öffnung einer Schule in den Stadtteil beginnen. Im Salon 1 auf dem Ganztagsschulkongress, in dem Teilnehmerinnen und Teilnehmer gemeinsam mit fünf Expertinnen und Experten über die „Öffnung von Schule, Kooperation und Bildungslandschaften“ diskutierten, konnte dies Wilfried Kretschmer, Schulleiter der Robert-Bosch-Gesamtschule in Hildesheim, recht plastisch darlegen.

„An unserer Schule gibt es das Projekt ‚Eltern in die Schule’. Für die zwei Gruppenstunden pro Woche, in denen die Schülerinnen und Schüler der Unterstufe kochen, ein Tierheim besuchen oder eine Schnitzeljagd im Wald durchführen, teilen wir die Klassen in Fünfergruppen auf. Diese benötigen natürlich eine Aufsicht, und dabei helfen uns die Eltern“, führte Kretschmer aus. So kämen jede Woche rund 200 Mütter und Väter in die Schule, um mitzuhelfen. In einer dritten Stunde sprächen die Eltern dann über die Erfahrungen, die sie in der Woche mit den Jugendlichen gesammelt hätten, und reflektierten ihre Beobachtungen.

Jede Woche 300 Nicht-Pädagogen in der Schule

Für die Arbeits- und Übungsstunden ist die Robert-Bosch-Gesamtschule zuständig - in Kooperation mit der Universität Hildesheim, deren Studentinnen und Studenten hier mithelfen. 170.000 Euro Ganztagsmittel hat die Schule kapitalisiert und stellt dafür weitere 100 externe Partner ein, so dass „jede Woche 300 Nicht-Lehrkräfte bei uns in der Schule zu finden sind“, wie Kretschmer ausführte. „Wir sind sehr intensiv mit dem Raum verzahnt, begreifen uns als integraler Teil der Stadt.“ Seit mehreren Jahren bestehen Kooperationen mit dem Theaterpädagogischen Zentrum, der Musikschule Hildesheim und der Elisabeth-von-Rantzau-Schule, einer berufsbildende Schule für das Sozialwesen.

Wilfried Kretschmer erklärte aber auch, dass seine Schule „schnell an Grenzen stoße“. Er wünsche sich, dass die Kommunen als Schulträger die Schulen nicht nur räumlich und sachlich ausstatteten, sondern auch in der Pädagogik Mitsprache erhielten.

Die Kommunen nähmen bereits über den Ganztagsschulausbau Einfluss auf die Schulentwicklung, befand Klaus Hebborn, Vorsitzender des Deutschen Städtetags. „Sie sind aber in der Bildungspolitik nicht besser als die Länder. Statt um Zuständigkeiten geht es mir um mehr Gemeinsamkeit – das Zuständigkeitschaos sollte beendet werden.“ Die Städte und Gemeinden würden immer stärker erkennen, dass die Bildung „ein harter Standortfaktor“ sei. „Die Kommunen wissen auch, dass gescheiterte Bildung sich in Kosten und sozialer Desintegration niederschlagen. Wenn Bildungslandschaften gelingen sollen, muss in den Kommunen ein ressortübergreifender Ansatz gewählt werden.“

Der Städtetag-Vorsitzende erwartete, dass „sich alle Beteiligten verändern müssen, gerade was das ressortübergreifende Abeiten betrifft - da wird bislang in den Kommunen noch viel zu etaistisch gedacht“. Die Crux läge darin, die verschiedenen Partner, die teilweise in Konkurrenz stünden, zur Zusammenarbeit zu ermutigen. „Die müssen ja alle etwas davon haben“, so Hebborn.

„Lernen voneinander ist das Wichtigste“

Aus Sicht der Jugendhilfe erklärte Boris Brokmeier von der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe: „Die Ganztagsschulen müssen alle Angebote der formalen und informellen Bildung in den Blick nehmen. Dabei muss die Jugendhilfe aber auch spezielle Angebote in die Kooperation einbringen. Und für diese Kooperationen, die der kontinuierlichen Pflege bedürfen, sollte eine Anlaufstelle eingerichtet werden.“ Leider kämen immer häufiger Kooperationen aufgrund fehlender Mittel auf Seiten der Schulen nicht zustande.

Prof. Thomas Rauschenbach, Vorsitzender des Deutschen Jugendinstituts, kritisierte, dass viel zu schnell die organisatorischen Fragen diskutiert würden, statt eine Zielperspektive inhaltlicher Art gemeinsam zu entwickeln. „Wir müssen auch diskutieren, dass die Schule gerechter und bemühter ist, als oft behauptet wird, wenn es um die Herstellung der Chancengerechtigkeit geht. Aber sie kommt gegen die großen Gegensätze in der Alltagsbildung der Kinder durch die Elternhäuser kaum an. Deshalb müssen wir fragen: Was brauchen Kinder und Jugendliche, um heute aufzuwachsen, ihren Neigungen nachgehen und ihre Kompetenzen entwickeln können. Was kann der Unterricht, wo stößt er an seine Grenzen?“

Kornelia Haugg, Abteilungsleiterin im BMBF, erklärte: „Niemand hat in den vergangenen fünf bis acht Jahren so viel für den Ausbau der regionalen Bildungslandschaften getan wie der Bund. Neben dem IZBB und dem Ganztagsschulprogramm haben wir beispielsweise das Programm „Lernen vor Ort“ aufgelegt und sind gerade dabei, mit allen 16 Bundesländern regionale Bildungsmanagements in die Fläche zu bringen.“ Gesellschaftliche Sprünge seien nur durch Vernetzung zu schaffen. Hier sei das Sprachförderprogramm „BiSS – Bildung durch Sprache und Schrift“ zu nennen, ein fünfjähriges Forschungs- und Entwicklungsprogramm, in dem Verbünde aus Kindertageseinrichtungen und Schulen eng zusammenarbeiten, um ihre Erfahrungen auszutauschen und abgestimmte Maßnahmen der Sprachbildung umzusetzen. „Das Lernen voneinander ist das Wichtigste“, so Haugg. Vor Ort müsse man überlegen, wer alles an einen Tisch geholt werden müsse, wie die Strukturen der kommunalen Vernetzung aussehen sollten und was ihren Kern ausmache.

In den Diskussionen wurde den Teilnehmenden aus den verschiedenen Bereichen von Politik, Verwaltung, Schule und Jugendhilfe schnell klar, dass es überhaupt erst mal darum gehen muss, eine „gemeinsame Sprache“ zu finden. „Wir bekamen an unserem Tisch nach den 45 Minuten Austauschzeit das Gefühl, dass wir jetzt langsam dazu kommen, die Begrifflichkeiten zu klären und eine Ebene zu finden“, berichteten übereinstimmend verschiedene Teilnehmerinnen und Teilnehmer von ihren Salon-Tischen. Thomas Rauschenbach ergänzte: „Wir müssen eine Kommunikationskultur entwickeln, Orte, an denen die unterschiedlichen Welten aufeinander treffen.“

Schulleiter Kretschmer erklärte: „Wir waren uns einig, dass es die Strukturen alleine nicht bringen, sondern die Haltung ebenso wichtig ist.“