10. Ganztagsschulkongress: Ganztagsschule ohne Gegenwind : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Auch Organtief "Xaver" kann die Geburtstagsfeier nicht stören. Mehr als 1.300 Besucherinnen und Besucher trotzten am Freitag, 6. Dezember 2013, Wind und Wetter und strömten ins berliner congress centrum (bcc) zum Jubiläumskongress "Blick auf mehr. 10 Jahre Ganztagsschulprogramm".

Wo immer man vor Beginn des Kongresses, der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in Kooperation mit der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung veranstaltet wird, lauschte, hörte man ähnlich erstaunte Äußerungen: „Sind das wirklich schon zehn Jahre?“ „Mein Gott, wie viel ist in dieser Zeit passiert.“ „Erinnerst Du Dich noch an die Weltuntergangsstimmung nach dem PISA-Schock?“

Ja, viele der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Jubiläumstagung erinnerten sich. Sie zogen Bilanz und blickten nach vorne. So auch Daniela Schadt, die Schirmherrin der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung. Ihre Grußworte folgten dem begeisternden Eröffnungsbeitrag der Klassikgruppe Spark. Schadt fasste die vergangenen zehn Jahre in einem großen Kompliment für alle am Ganztag Beteiligten zusammen: „Es ist beeindruckend, was Sie alle auf die Beine gestellt haben.“ Damit spielte sie nicht nur auf den Wandel von „harten Holzbänken“ hin zum „grünen Sofa“ in der Schule an. „Nein“, so betonte sie, „das dokumentiert nur, wie komplex der Kosmos Ganztagsschule geworden ist.“ Die Schulen hätten sich enorm verändert. Sie seien inzwischen nicht nur lehrende sondern selbst lernende Institutionen geworden. Sie wandelten und öffneten sich. Viele Kinder hätten eine emotionale Beziehung zu ihrer Schule aufbauen können. Zehn Jahre des Programms der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) „ganztägig lernen“ hätten vieles und viele bewegt. Die Unterstützung der Politik  und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) hätten entscheidend dazu beigetragen. „Wir gehen davon aus, dass wir uns dieser Unterstützung weiter erfreuen dürfen“, hoffte sie.

Sie mochte jedoch nicht nur in Jubiläumsstimmung fröhlich zurückblicken. Für die Zukunft forderte sie eine weitere Verbesserung der Angebote. Konkret nannte sie eine noch stärkere  Verzahnung der Vor- und Nachmittagsangebote, eine stärkere Rhythmisierung sowie eine noch gezieltere individuelle Förderung. Große Bedeutung maß sie der Haltung, die der einzelne in die Schulgemeinschaft einbringe, bei. Dazu zähle ein Vertrauensverhältnis. „Dazu trägt nicht nur einer, dazu tragen alle bei“, betonte Daniel Schadt. Zugleich plädierte sie für eine gesunde Fehlerkultur. Sie sei den Schülerinnen und Schülern zugestanden: „Lernen gelingt am besten, wenn Fehler erlaubt sind“. Aber auch den Schulen. Schadt appellierte an diese: „Nehmen Sie sich Zeit für Veränderungen und korrigieren Sie Entscheidungen notfalls – ohne schlechtes Gewissen.“

PISA hat keine Schockstarre ausgelöst

Roland Koch, Vorsitzender des Stiftungsrates der DKJS, zeigte sich anschließend im Gespräch mit Moderatorin Inka Schneider überzeugt, dass die Ganztagsschule „noch eine längere Zeit eine große Herausforderung sein wird.“ Dabei gehe es nicht nur um die Frage der Finanzierung, sondern auch um die pragmatische Umsetzung. Die DKJS lobte er: „Die Stiftung hilft, für ein theoretisches Problem praktische Lösungen zu entwickeln.“ Mahnend erklärte er zwar: „In einem Land, das älter wird, brauchen wir alle. Und da gibt es noch Nachholbedarf.“ Aber es sei nun wirklich nicht alles so schlecht, dass sich Eltern täglich Sorge über die Schule ihres Kindes machen müssten. 

Erfreut stellte auch der Parlamentarische Staatssekretär im BMBF, Thomas Rachel, fest: „Der PISA-Schock hat zum Glück keine Schockstarre ausgelöst. Er hat vielmehr eine Aufbruchstimmung ausgelöst.“ Die Sorgen, Familien würden durch die Ganztagsschule leiden und die Vereine könnten sich auflösen, hätten sich im vergangenen Jahrzehnt nicht nur als unbegründet erwiesen. Das Gegenteil habe sich herausgestellt. Familien fühlten sich entlastet, die Vereine profitierten von Kooperationen. Zur Akzeptanz der Ganztagsschule habe sicher auch beigetragen, dass es nicht das Modell der Ganztagsschule, sondern eine große Vielfalt gebe. Der Bund werde sich auch künftig finanziell stark in Bildung und Forschung engagieren. Neun Milliarden Euro sehe der Koalitionsvertrag an zusätzlichen Ausgaben vor. Was die Aufhebung des Kooperationsverbots angehe, sehe er für den Bereich Hochschulen/Wissenschaft „Chancen, sich näherzukommen.“ In Sachen Schule aber wollten einige Länder an ihrer Hoheit festhalten.

Ganztagsschule als Motor der pädagogischen Entwicklung

Die Nachricht griff der amtierende Präsident der Kultusministerkonferenz (KMK) und Kultusminister Sachsen-Anhalts, Stephan Dorgerloh, auf: „Ich plädiere nicht nur für die Aufhebung des Kooperationsverbots, sondern wünsche mir ein Kooperationsgebot. Wir brauchen ein Miteinander von Bund und Ländern.“

Passend zum Jubiläum erinnerte er an den enormen Gegenwind, der dem Ganztag als einem der sieben als Reaktion auf die PISA-Ergebnisse identifizierten Handlungsfelder entgegengeweht sei. „Halbtagsschule plus Suppenküche, den Familien werden die Kinder entzogen, ein schlechter Halbtag werde auf Ganztag ausgedehnt“, seien drei der Argumente gewesen, „die wir uns anhören mussten.“ Fast launig, auf jeden Fall zufrieden, führte er seine Schilderung fort: „Jetzt wurden Anfang der Woche die PISA-Ergebnisse 2012 vorgestellt. Und oh Wunder, Deutschland hat sich vorangearbeitet. Wir haben Finnland fest vor Augen.“ Das sei eine Erfolgsgeschichte. Dazu habe die Ganztagsschule einen unverzichtbaren Anteil geleistet. Sie sei aus vielerlei Gründen aus der Schullandschaft nicht wegzudenken. 2,3 Millionen Schülerinnen und Schüler würden derzeit aktuell ganztägig betreut. Dorgerloh wörtlich: „Die Ganztagsschule ist der Motor der pädagogischen Entwicklung.“