10. Ganztagsschulkongress: "Eine Verantwortungsgemeinschaft bilden" : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Im zweiten Teil des Vormittags gab es Zeit für einen luftig-launigen filmischen Rückblick auf zehn Jahre Ganztagsschulprogramm, Zeit aber auch für mahnende Worte seitens Wissenschaft und Praxis zum aktuellen Stand der Ganztagsschulen.

Moderatorin Inka Schneider wurde unterbrochen. Zum Glück nicht unplanmäßig. Vor der den Vormittag abschließenden Podiumsdiskussion wurde dem Plenum im Kuppelsaal eine launige Film-Collage zum Thema „10 Jahre Ganztagsschulprogramm“ präsentiert, in der prominente Persönlichkeiten, Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Wissenschaftler sich zum Stand der Ganztagsschulentwicklung äußern.

Darin lobte Rita Süßmuth die Ganztagsschule als einen Ort, an der es besser möglich sei, die individuelle Entwicklung der einzelnen Schülerin und des einzelnen Schülers in den Blick zu nehmen. Auch gelinge es hier besser, die Schule für außerschulische Partner zu öffnen. Diese Sichtweise unterstützte ein Interviewausschnitt mit Schulleiterin Brigitte Rössing von der Ganztagsgrundschule an der Comeniusstraße in Braunschweig: „Wir haben einfach mehr Zeit für die Kinder, können sie anders kennen lernen und ganzheitlicher in den Blick nehmen.“

Prof. Thomas Rauschenbach, Vorsitzender des Deutschen Jugendinstituts, wünschte sich die Ganztagsschule als eine „attraktive Lebenswelt für Kinder, damit sie gerne in die Schule kommen“. Ties Rabe, Bildungssenator der Hansestadt Hamburg, freute sich, dass es mit der „Ganztagsschule endlich mal ein bildungspolitisches Thema gibt, bei dem sich alle einig sind“. Prof. Ludwig Stecher von der Justus-von-Liebig-Universität in Gießen und wie Rauschenbach Mitglied des StEG-Konsortiums, warf einen kurzen Blick in die Zukunft: „Es kommt jetzt darauf an, dass wir eine bessere pädagogische Qualität in die Ganztagsschule bekommen.“

Inklusion und Ganztagsschule als vordringliche Aufgaben

Auf dieses Thema kam es Thomas Rauschenbach – nun in persona im Kuppelsaal auf der Bühne bei der anschließenden Podiumsdiskussion „Rückblick auf zehn Jahre Ganztagsschulentwicklung“ – ebenfalls besonders an. „Ich bin ja froh, dass wir jetzt überhaupt die Qualitätsdiskussion führen, aber wir müssen dann diese Qualität auch definieren; wir benötigen wenigstens einen Mindeststandard, was eine Schule zu einer Ganztagsschule macht.“ Bei der StEG-Studie sei das Konsortium irritiert gewesen, wie viele Ganztagsschulen ihre Angebote nur an drei Tagen machten und an wie vielen Ganztagsschulen die Schülerinnen und Schüler teilweise nur an einem Wochentag teilnähmen – da könne man „nicht ernsthaft von einer Ganztagsschule sprechen“.

Ute Erdsiek-Rave sah „die Ganztagsschule und das Thema Inklusion als nationale Aufgaben, für die alle verantwortlich sind. Es gibt kein neues Programm für die Qualitätssicherung der Ganztagsschulen und für die Inklusion. Die Länder sollten sich hier auf eine gemeinsame Position für diese Programme einigen.“ Für die Vorsitzende des Expertenkreises „Inklusive Bildung“ der Deutschen UNESCO-Kommission sind bei der Inklusion Kooperation und die Verzahnung der verschiedenen Professionen zu einem Team, das sich als eine „Verantwortungsgemeinschaft“ für das Kind verstehe, unabdingbar. Dafür seien erst einmal gruppendynamische Prozesse bei den Erwachsenen notwendig; Lehrkräfte und Erzieherinnen müssten gegenseitige Vorbehalte und Vorurteile überwinden.

Auch Thomas Rauschenbach hielt das Etablieren dieser „Verantwortungsgemeinschaften“ für eine Voraussetzung dafür, dass Ganztagsschulen gelängen, in die alle Schülerinnen und Schüler gerne gingen. „Wir brauchen einen ganz neuen Ansatz bei der Ganztagsbildung. Es müssen Unterricht, eine Art Volkshochschule mit Kurswahl, Jugendarbeit und Abenteuerpädagogik zu einem neuen Bildungsbegriff verbunden werden, der das Ganze umfasst.“

„Wir brauchen mehr Streit und eine Idee“

Sabine Zülka, Schulleiterin der Grundschule an der Landsberger Straße im westfälischen Herford, vertrat die Meinung, dass man beim Zusammenwachsen von Schule und außerschulischen Pädagogen wie der Jugendhilfe „in der Praxis schon ein ganzes Stück weitergekommen“ sei. Nun gelte es, das Additum von Unterricht und außerunterrichtlichen Angeboten zu überwinden, so dass die Schülerinnen und Schüler verstärkt interessengeleitet lernen könnten.

Gerald Tuschner, Rektor des Ostsee-Gymnasiums Rostock, erklärte: „Wir brauchen mehr Ressourcen, aber wir benötigen vor allem auch Konzepte. Es besteht besonders bei einer Ganztagsschule, die mit einem hohen Anteil von Lehrkräften arbeitet, die Gefahr, dass der ganze Tag zu verschult wird.“

Thomas Rauschenbach forderte „mehr konzeptionellen Streit im positiven Sinne, wo wir mit der Ganztagsschule überhaupt hinwollen. Ein Zwölfjähriger will nicht mehr betreut werden; er will eine Idee, warum er in der Ganztagsschule ist.“ Der Wissenschaftler zeigte sich überzeugt, dass in zehn Jahren die Ganztagsschule den Normalfall in der deutschen Bildungslandschaft darstellen werde. „Die Politik muss aber die entsprechenden Voraussetzungen für gute Ganztagsschulen mit einer entsprechenden Ausstattung schaffen und nicht erst die Eltern bitten, ihre Kinder in die Schule zu schicken und dann sagen: Ja, wir schauen dann mal, was wir noch so an Mitteln hineingeben.“