10. Ganztagsschulkongress: "Ein neues Kapitel schreiben" : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Eine Intervention zur rechten Zeit? Schülerinnen und Schüler besetzten zum Abschluss des Kongresses die Bühne und erkämpften sich mindestens ein Rederecht im letzten Podiumsgespräch.

Schülerinnen und Schüler protestieren an der Bühne
Schülerinnen und Schüler besetzen aus Protest die Bühne © Chiussi/Agentur StandArt

Inka Schneider war für einen Moment lang irritiert: „Was wird das jetzt hier?“ Gerade wollte die Moderatorin den Autor Feridun Zaimoglu zur Lesung auf die Bühne bitten, da hatten sich auf einen Schlag einige Dutzend Schülerinnen und Schüler rund um Inka Schneider herum auf die Bühne gelegt und hielten Transparente hoch. Auch in den Sitzreihen reckten die Jungen und Mädchen Plakate hoch, aus dem Auditorium erschallten Zwischenrufe. „Schülerinnen und Schüler gleich Dekor“ war ein eingängiger Slogan.

Die Schülerinnen und Schüler fanden sich – ausgerechnet – auf diesem Jubiläumskongress an den Rand gedrängt. „Wir werden nicht gehört und nicht befragt“, verbalisierte Justin Genztner vom Geschwister-Scholl-Gymnasium im westfälischen Unna den Unmut. „Die Ungleichbehandlung zu den anderen Teilnehmenden fängt schon bei den unterschiedlichen Namensschildern an“, meinte er unter Applaus. Die Intervention blieb nicht folgenlos: Zum abschließenden Podiumsgespräch wurde er dazugebeten.

Vor dem Aufruhr war es im bcc-Kuppelsaal ruhiger zugegangen. Zwei Vorträge hatten ganz unterschiedliche Themen beleuchtet. Prof. Albert Ziegler von der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen-Nürnberg widmete seinen Vortrag der „Motivationsförderung im Schulalltag“. Der Wissenschaftler zeigte die Notwendigkeit von Lob, aber auch, dass Lob nicht gleich Lob ist. „Eine der Handlungsfunktionen des Lobes ist es, Auftretungswahrscheinlichkeiten von Handlungen zu erhöhen“, führte der Professor für Pädagogische Psychologie aus. „Loben Sie Fortschritte, vermeiden Sie Leistungsziele, sondern formulieren Sie Lernziele.“

Ziegler machte den Anwesenden Mut, dass „Begabungen nicht stabil, sondern veränderbar sind. Auch Intelligenzquotienten können beeinflusst werden. Professionelle Erzieherinnen und Erzieher können Begabungen steigern. Haben Sie Vertrauen, dass das Lernen Begabungen und Intelligenzquotienten in kurzer Zeit veränderbar sind.“

Keine Frage von Visionen, sondern von Empirie

Prof. Ludwig Stecher von der Justus-Liebig-Universität in Gießen und Mitglied des StEG-Konsortiums warf in seinem Beitrag „Extended Education“ einen „Blick über den Tellerrand der deutschen Ganztagsschulen“: „Im internationalen Vergleich stehen wir bezüglich der Bildungsforschung außerordentlich gut da. Dank der Implementierung der StEG-Studie, die nun ja offenbar noch über 2015 verlängert werden soll, und der durch das BMBF aufgesetzten über 20 Begleitforschungsprojekte haben wir in Deutschland einen Sprung in der Bildungsforschung gemacht.“

Prof. Ludwig Stecher während seines Vortrags
Prof. Ludwig Stecher © Piero Chiussi/Agentur StandArt

Der Bildungsforscher stand auch in der Runde des abschließenden Gesprächs „10 Jahre Ganztagsschule – Was liegt noch vor uns?“ auf dem Podium. „In der Zukunft wird die Qualitätsfrage bei den Ganztagsschulen im Vordergrund stehen. Aber das ist keine Frage von Visionen, sondern eine empirische Frage. Der Prozess der Qualitätsentwicklung muss durch die Bildungsforschung im Dialog mit der Schulpädagogik beständig begleitet werden. Daneben müssen wir uns auch stark in die internationale Forschung einbringen.“

Für die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung resümierte Maren Wichmann, die Leiterin des Begleitprogramms „Ideen für mehr! Ganztägig lernen“: „Es ist uns in den letzten zehn Jahren gelungen, gemeinsame Unterstützungssysteme für die Ganztagsschulen bundesweit zu etablieren. Etwas Besonderes ist es, dass wir uns über die Jahre immer wieder in unterschiedlichen Konstellationen ganz verschiedener Partner zusammengesetzt haben, um neue Ideen zu finden und Programme zu entwickeln. Besonders wertvoll sind dabei die Programme, in denen Schulen von Schulen lernen. Hier gibt es bereits einige Netzwerke, aber es sind noch zu wenige.“

„Sind auf halbem Wege“

Für die Eltern forderte Michael Töpler als stellvertretender Vorsitzender des Bundeselternrats „flächendeckende rhythmisierte Ganztagsschulen in ganz Deutschland mit einer entsprechenden personellen und räumlichen Ausstattung“. Das Ganztagsschulprogramm müsse über 2014 hinaus fortgesetzt werden.

Diesem Wunsch schloss sich Wolf Schwarz als Vertreter der Bundesländer ausdrücklich an: „Ich wünsche mir die Fortsetzung des Begleitprogramms, aber auch ein neues Investitionsprogramm von Bund und Ländern.“ Für sein Land Hessen kündigte der Referatsleiter Ganztagsschulen im Kultusministerium einen Ganztagsschulausbau besonders im Grundschulbereich an. „Hoffentlich wird sich die neue Landesregierung auch den Ausbau von Ganztagsschulen zu vollwertigen Ganztagsschulen, die ein Angebot an fünf Wochentagen anbieten, zur Aufgabe machen.“

Inhaltlich seien die größten Herausforderungen die Verankerung der individuellen Förderung in der Lernkultur und die zunehmend heterogenere Schülerschaft, besonders in den Ballungszentren, aber auch schon in Schulen auf dem Land. „Wir müssen die Ganztagsschulen so gestalten, dass sich sowohl die Schülerinnen und Schüler als auch die Lehrkräfte dort wohlfühlen“, so Schwarz. Sein Fazit nach zehn Jahren Ganztagsschulausbau fiel gemischt aus: „Wir sind beim Ausbau von Ganztagsschulen, die diesen Namen auch verdienen, auf halbem Weg. Auch bei der Verlässlichkeit für die Eltern sind wir auf halbem Weg.“

Ganztagsschulforschung gibt Impulse für Schulentwicklung

Freundlicher fiel das Fazit von Bettina Bundszus, Referatsleiterin im BMBF, aus: „Wir haben wesentliche Verbesserungen bei der Betreuungssituation erreicht, so dass insbesondere in Westdeutschland heute mehr Frauen aus der bestausgebildeten Frauengeneration aller Zeiten ihre Berufe ausüben können. Das Investitionsprogramm ‚Zukunft Bildung und Betreuung’ hat darüber hinaus wichtige Impulse in die Schulentwicklung gegeben.“

Es müsse ein weiterer Ausbau stattfinden, denn Bettina Bundszus zufolge „ist noch viel Luft nach oben, was das Platzangebot für Kinder und Jugendliche betrifft. Bisher finden nur 30 Prozent der Schülerinnen und Schüler einen Platz in Ganztagsschulen“. Man müsse sich nun der Qualität der Angebote widmen. „Die kinder- und jugendgerechte Ganztagsschule soll dabei mehr als nur ein Schlagwort werden“, so Bundszus.

Zu der die den gesamten Kongress durchziehenden Diskussion um eine Weiterführung des Ganztagsschulprogramms sowie eine Neuauflage eines neuen Investitionsprogramms von Bund und Ländern erklärte die Bundesvertreterin zum Abschluss: „Der gerade unterschriebene Koalitionsvertrag ist ein Kapitel. Dieses Kapitel schließen wir jetzt. Und wir werden uns mit den Ländern daran setzen, ein neues Kapitel zu schreiben.“