Alemannenschule Wutöschingen: Erfolg einer Gemeinschaftsschule : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Der Alemannenschule Wutöschingen gelang es vor fast zehn Jahren, sich neu zu erfinden. Inzwischen hat sie einen überragenden Ruf und kann sich zu Recht über einen Deutschen Schulpreis freuen.

Gruppenfoto beim Schulpreis
© Alemannenschule Wutöschingen

Die sowieso schon gute Stimmung an der Alemannenschule Wutöschingen verbesserte sich noch, bevor die 17-köpfige Reisegruppe überhaupt die Hauptstadt erreicht hatte. Am Tag der Anreise zur Preisverleihung des Deutschen Schulpreises am 5. Juni 2019, bei der die Gemeinschaftsschule zu den 15 Nominierten gehörte, hatte Schulleiter Stefan Ruppaner Geburtstag. Das Zugabteil verwandelte sich in ein Frühstücksbuffet-Restaurant, und es wurde schon einmal gefeiert.

Die Laune des Schulleiters, der seit 2005 die Geschicke der Alemannenschule leitet, sollte sich am nächsten Tag im Berliner ewerk noch weiter aufhellen. Denn die Schule erhielt einen zweiten Deutschen Schulpreis. Glücklich und stolz war auch Bürgermeister Georg Eble, der aus dem Landkreis an der schweizerischen Grenze mitangereist war: „Dieser Preis ist Lohn für die Arbeit der vergangenen zehn Jahre. Er zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“

Die falsche Prognose

Die Erinnerung an das letzte Jahrzehnt deutet an, dass in der Alemannenschule, damals noch eine Grund- und Werkrealschule, zuvor Grund- und Hauptschule, nicht immer Feierstimmung herrschte. 2009 war ein Dossier zur Schulentwicklungsplanung im Landkreis Waldshut bekannt geworden, das ein sinkendes „demografisches Schülerpotenzial“ bis 2020 prognostizierte. Es empfahl im Grunde die Schließung. Doch nicht gerechnet hatten die Autoren wohl mit dem Potenzial der Alemannenschule: Schulleiter Stefan Ruppaner war keineswegs bereit, die Prognose einfach hinzunehmen.

„Wir waren uns in Schulleitung und Kollegium sehr schnell einig, dass wir die Art des Lernens und Lehrens verändern wollten“, erzählt Stefan Ruppaner. Dabei half auch der Film „Treibhäuser der Zukunft“, der ihm vor Augen führte, was andere Schulen, beispielsweise die Bodenseeschule St. Martin in Friedrichshafen, in der Unterrichtsentwicklung unternahmen, um Schülerinnen und Schüler zu fördern. Ebenso zeigte der Film, welche Rolle der „Raum als dritter Pädagoge“ spielt. „Mich hat das sehr berührt“, so der Schulleiter. Besuche an anderen Schulen folgten: an der Bodenseeschule oder an der Hebelschule Schliengen.

Gruppenfoto am Berliner Hauptbahnhof
Die Reisegruppe im Berliner Hauptbahnhof © Alemannenschule Wutöschingen

Als für 2012/2013 Gemeinschaftsschulen in Baden-Württemberg geplant wurden, gehörte die Alemannenschule, kurz: ASW, zu den ersten Schulen, die sich bewarben. Kern der Gemeinschaftsschule ist das gemeinsame Lernen auf verschiedenen Niveaus von Klasse 5 bis 10, sie führt zum Haupt- oder Realschulabschluss und in manchen Schulen auch zum Abitur. Die ASW hat zudem noch ihre Primarstufe. Gemeinschaftsschulen sind zugleich „verbindliche Ganztagesschulen“. Inzwischen gibt es 306 Gemeinschaftsschulen im Land – mit Schulleitungen, die sich oft von Beginn an für die Schulform eingesetzt hatten und von ihr überzeugt sind.

Individualisiertes Lernen in Lernateliers

Bereits im Schuljahr 2011/2012 wurden Klassenzimmer zu Lernateliers umgestaltet: Jede Schülerin und jeder Schüler erhielt einen eigenen Arbeitsplatz. Freiarbeit wurde in der 5. Jahrgangsstufe eingeführt sowie sukzessive Lernpläne, Lerntagebücher und Erfolgsdokumentationen. Lehrerinnen und Lehrer entwickelten teilweise neue Lernmaterialien. Um mehr Lerngespräche zu ermöglichen, wurden Stunden doppelt besetzt.

Im März 2012 gründete sich eine Steuergruppe, die am neuen Schulkonzept arbeitete. Eine interne Fortbildungsreihe zu den Themen „Gemeinschaftsschule“ und „Individuelles Lernen“ diente der Qualifizierung des Kollegiums. Zunächst wurde das individualisierte Lernen in zwei Klassen eingeführt: Die Schülerinnen und Schüler konnten nun frei entscheiden, in welchem Fach und Thema sie arbeiten wollen. Doch schnell gab es räumliche Grenzen. So widmete sich die Steuergruppe besonders der Raumgestaltung.

Als Konsequenz entstand das „Blaue Lernhaus“: Klassenräume wurden abgeschafft, Lernateliers eingerichtet. Ein Marktplatz mit Lerninseln wurde eingeführt, eine Computertheke und sogenannte Input-Räume entstanden, die mit Präsentationsmedien wie Smartboards ausgestattet sind. Mit der Gemeinschaftsschule starteten jahrgangsübergreifende Lerngruppen. Die Lerngruppengröße liegt bis heute bei 14 Schülerinnen und Schülern.

Wutöschingen wird zum „Lerndorf“

Foto-Collage mit verschiedenen Schulaktivitäten
© Alemannenschule Wutöschingen

Zugleich streckte die Ganztagesschule die Fühler in die Gemeinde aus, um außerschulische Lernorte und Kooperationspartner zu gewinnen. Heute nutzt die Schule für den nachmittäglichen „Clubunterricht“ zum Beispiel den Sitzungssaal des Rathauses, die Gemeindebücherei oder Räumlichkeiten der Kirche; sie kooperiert mit dem AWO-Seniorenheim Wutöschingen, mit Bauernhöfen und Betrieben. Kurz: Sie hat Wutöschingen zu einem „Lerndorf“ gemacht.

2013 folgten der Umbau eines zweiten Gebäudes und ein Anbau. Das Kollegium bildete sich im Kooperativen Lernen fort. „Ohne Fortbildung geht es nicht“, sagt Schulleiter Ruppaner. Und: „Ich habe ein Top-Kollegium.“ Die guten Noten in den Vergleichsarbeiten, die die Schülerinnen und Schüler erzielten, machten Mut, auf dem richtigen Weg zu sein. Das „Grüne Lernhaus“ wurde eingerichtet und die „Digitale Lernumgebung“ „DiLer“ entwickelt, die digitale Basis für selbstgesteuertes Lernen.

2015 wurde schließlich mit finanzieller Unterstützung der Gemeinde Wutöschingen und des Landes Baden-Württemberg das neue, spektakuläre Lernatelier im „Weißen Haus“ für die Klassen 8 bis 10 fertig. Hier stehen die „Hühnerställe“ aus weiß gebeiztem Holz, wie Stefan Ruppaner die sich über zwei Ebenen erstreckenden Arbeitsplätze bezeichnet. Sie ähneln überdimensionalen Etagenbetten mit Raum für insgesamt acht oder mehr Schreibtische. Auch eine neue Mensa wurde eingerichtet.

Ein „gedeckter Tisch“ für Schülerinnen und Schüler

Blick in das Lernatelier
Lernatelier im Weißen Haus © Alemannenschule Wutöschingen

Ein weiterer wichtiger Schritt: 2017 gab der Kreistag grünes Licht für das Vorhaben „Abitur an der ASW“. Das verdankte sich auch dem „unermüdlichen Einsatz“ von Bürgermeister Georg Eble. Für die Schule erfüllt sich der „Traum von einer gymnasialen Oberstufe“, denn das bedeutet nun, eine „wirkliche Gemeinschaftsschule“ zu sein. Den Großteil des Schultages lernen die Schülerinnen und Schüler an der ASW individuell. In Input-Phasen werden sie in Gruppen von ihren Lehrerinnen und Lehrern darauf vorbereitet.

Der Schulleiter vergleicht Schule und Lernen mit „einem gedeckten Tisch, auf dem wir den Schülerinnen und Schülern leckere Sachen anbieten“. Es gehe nicht darum, „etwas in sie hineinzustopfen“. Die Schule setzt auf ein gutes Angebot, das ermöglicht, dass Lernen Spaß macht.

Das gilt auch für die AG-Angebote im Ganztag. „Wir schauen zusammen mit den Schülerinnen und Schülern: Was tut mir gut?“ Außerschulische Partner, aber auch Jugendliche leiten die AGs. Jeden Morgen ab 7 Uhr gibt es den „musikalischen Frühbeginn“. In eigens dafür gestalteten Räumen oder im Probenlokal des Musikvereins Wutöschingen können die Bläserklasse, das Orchester und der Chor aktiv werden. Die jährlichen Musical-Aufführungen sind Höhepunkte im Schulkalender.

Digitale Zeichen der Zeit frühzeitig erkannt

Schon früh erkannten Schulleitung und Kollegium die „Zeichen der digitalen Zeit“: Um Chancengleichheit herzustellen, wurden Schülerinnen und Schüler ebenso wie Lehrkräfte mit iPads ausgestattet. Die technischen und organisatorischen Anpassungen nahmen zwei Jahre in Anspruch, dann funktionierte die Interaktion mit 500 Geräten. Per iPad haben die Schülerinnen und Schüler seither Zugang zur Lernplattform „DiLer“, einschließlich Internetzugang.

Die Alemannenschule gilt im Vergleich mit anderen Schulen als „im Bereich digitaler Medien weit vorangeschritten, auch wenn Lehrer und Medienpädagoge Valentin Helling, der dies maßgeblich unterstützt, meint, es seien „gerade erst die notwendigen Grundlagen“. 2018 wurde die ASW als eine von sieben Schulen in den erlesenen Kreis der „Apple Distinguished Schools“ aufgenommen.

Lehrerin Verena Schabinger, die Koordinatorin der Schulentwicklung, ist schon jetzt überzeugt: „Die digitalen Lerninhalte lassen sich leicht an unterschiedliche Leistungsniveaus anpassen. Das ermöglicht eine Individualisierung von Lernprozessen, weil wir den Schülerinnen und Schülern die Inhalte bereitstellen können, die ihrem persönlichen Kenntnisstand entsprechen.“ Schulleiter Stefan Ruppaner sieht es so: „Die neuen Medien sind Werkzeuge, die man intelligent einsetzen muss.“

„Die Leistung stimmt“

Für die gymnasiale Oberstufe, die die ASW als dritte baden-württembergische Gemeinschaftsschule erhält, entsteht ein weiterer Neubau für 7,7 Millionen Euro. Das dürfte zusammen mit dem Deutschen Schulpreis die Attraktivität der Schule weiter steigern. Für die Schulleitung, die 57 Lehrerinnen und Lehrer, die Schulsozialarbeiterin, die pädagogische Assistentin, die beiden Schulsekretärinnen und die vier FSJler ist es Ansporn, den Weg konsequent weiterzugehen.

„Die Vera-Vergleichsarbeiten zeigen, dass die Ergebnisse unserer Schülerinnen und Schüler überdurchschnittlich sind, besser als in mancher Realschule. Die Leistung stimmt“, ist Stefan Ruppaner stolz. Die Schulentwicklung hat auch Eltern überzeugt: Inzwischen hat die Alemannenschule 620 Schülerinnen und Schüler, der „Andrang ist fast schon grenzwertig“, bekannte der Schulleiter bei der Schulpreis-Verleihung.

Schon 2018 hatte Bürgermeister Georg Eble auf einer Tagung der GEW in Stuttgart von den stetig steigenden Anmeldezahlen berichtet und auch, dass „inzwischen Familien nur aufgrund der attraktiven Gemeinschaftsschule nach Wutöschingen ziehen wollen. Wir haben einen wachsenden Zuzug aufgrund unserer erfolgreichen Schule.“

Die Redaktion gratuliert allen Preisträger-Schulen des Deutschen Schulpreises!

 

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