Studien zu Sport und G8: Jugendliche treiben weiter Sport : Datum:
Um fehlende Zeit durch die höhere Schulbelastung auszugleichen, reduzieren Schülerinnen und Schüler eher den selbstorganisierten Sport – den Vereinen bleiben sie treu.
Der Sport hat auch bei Schülerinnen und Schülern, die in der verkürzten gymnasialen Oberstufe (G8) auf dem Weg zum Abitur sind, einen hohen Stellenwert. Um die durch die höhere Schulbelastung fehlende Zeit auszugleichen, reduzieren G8-Schüler freilich den selbstorganisierten Sport und fokussieren sich auf den Sport im Verein. Insgesamt wünschen sie sich auch mehr als ihre G9-Mitschülerinnen und Mitschüler Zeit, um „Freunde zu treffen“, „mehr Sport zu treiben“ oder auch „ehrenamtlich aktiv zu sein“.
Das ist das Ergebnis zweier unabhängiger Untersuchungen, die der Landessportbund Hessen e.V. und die Sportjugend Hessen e.V. in Kooperation mit der Deutschen Sportjugend in Auftrag gegeben hatten. Anlass für die Untersuchungen war die breite gesellschaftliche Diskussion über die Auswirkungen der verkürzten Schulzeit. Die Studien wurden von der Philipps- Universität Marburg (Prof. Dr. Ralf Laging) und der Goethe-Universität Frankfurt am Main (Prof. Dr. Robert Prohl) durchgeführt. Die Auswertung wurde jetzt in der Sportschule des Landessportbundes in Frankfurt vorgestellt.
In der Marburger Studie wurden an 23 hessischen Schulen circa 2.200 Schülerinnen und Schüler aus dem „G8/G9-Doppeljahrgang“ des Schuljahres 2011/12 in der Einführungsphase der Oberstufe untersucht. Die befragten G8-Schülerinnen und Schüler repräsentieren einen kompletten Gymnasialjahrgang, der ausschließlich unter G8-Bedingungen in Hessen unterrichtet worden ist. Eine Wahlfreiheit bestand nicht. Die Frankfurter Untersuchung verglich dagegen fünf Kooperative Gesamtschulen, davon zwei mit G8- und drei mit G9-Ausrichtung. Seit 2008 konnte diese Schulform wieder zu G9 zurückkehren, sodass seitdem eine regional unterschiedliche Wahlfreiheit existiert. Es wurden Aussagen von rund 900 Schülerinnen und Schüler aller Jahrgangsstufen, von 120 Lehrerkräften und 500 Eltern ausgewertet. Die Fragestellungen beider Untersuchungen richteten sich auf die Schwerpunkte „Schulzufriedenheit“, „Beanspruchung durch die Schule“ und „Freizeitaktivitäten und Teilnahme am organisierten Sport“.
Betrachtet man die schulinternen Ergebnisse beider Studien, ergeben sich durchaus signifikante Unterschiede zwischen den G8- und G9-Jahrgängen. So sind G9-Schülerinnen und Schüler insgesamt zufriedener mit ihrer Schule. G8-Schülerinnen und Schüler dagegen berichten von einer moderat höheren Belastung und einem Zeitdefizit für Freizeitaktivitäten. Fasst man die umfangreichen Ergebnisse zusammen, fühlen sich G8-Schülerinnen und Schüler von den schulischen Forderungen insgesamt mehr belastet.
Beim Blick auf die Sportaktivitäten überraschen die hohen Sportvereins-Mitgliedsquoten der G8-Jugendlichen, die an vielen Orten sogar höher als bei den G9-Jugendlichen ausfallen. Bei dem Doppeljahrgang der Marburger Studie erklärt sich dieses Übergewicht zum Teil durch die Altersdifferenz zwischen den 16Jährigen aus den G8- und den meist schon 17- bis 18-Jährigen aus den G9-Schulen. Denn mit zunehmendem Alter sinkt der Organisationsgrad von Jugendlichen. Aus der Marburger Studie ist auch zu erfahren, dass die G8-Schülerinnen und Schüler zwar weiter stark im Vereinssport vertreten sind, dafür allerdings weniger selbstorganisiert Sport treiben.
Bezieht man weitere Studien-Ergebnisse mit ein, lässt sich aus beiden Studien folgern, dass Jugendliche trotz der zunehmenden schulischen Belastungen am wenigsten beim Sporttreiben große Einschnitte vornehmen. Sie passen ihr Verhalten darauf an, wechseln zu anderen Sportarten oder reduzieren die Zeit freien, nicht-organisierten Sporttreibens. Das tun sie offensichtlich, weil Körper, Sport und Bewegung im Jugendalter für sie weiter unverzichtbar sind. So kann festgehalten werden, dass sich die generellen Befürchtungen gegenüber der verkürzten Schulzeit (G8) in sportorganisatorischer Hinsicht im Rahmen dieser Untersuchungen nicht bestätigt haben.
In seinem Abschlussstatement wies Prof. Prohl auf die teilweise erheblichen Unterschiede zwischen den Einzelschulen hin. So könnten generelle Aussagen über eine Schulform der Problemlage nicht gerecht werden. Entscheidend seien vielmehr der weitere Ausbau von Ganztagsangeboten sowie die Unterstützung der Akteure an den Schulen vor Ort bei der Organisation und Durchführung der G8-Reform.
Zum Abschluss der Präsentation warnte Prof. Laging davor, die scheinbar geringen Unterschiede zwischen den Schülerinnen und Schülern beider Gymnasialformen vorschnell als ein Indiz dafür zu werten, dass die G8-Schulreform wenig Auswirkungen hätte. Die Ergebnisse zeigten vielmehr, dass G8-Schülerinnen und Schüler aufgrund der begrenzten Zeiträume ihr Sporttreiben und ihre Freizeit zielstrebiger, leistungsorientierter und organisierter ausüben als ihre G9-Mitschülerinnen und Mitschüler. Das ließe die Vermutung zu, dass sie auch sonst ihre Jugend- und Schulzeit eher als eine „Übergangsphase“ hin zum Erwachsenendasein und weniger als eine eigenständige „Verbleibphase“ mit einem eigenen Wert begreifen. Das sei per se nicht als gut oder schlecht zu bewerten, vielmehr müsse hierzu ein gesellschaftlicher Diskurs geführt werden, welchen Stellenwert die Jugendphase zukünftig haben und welchen Einfluss die Bildungspolitik darauf nehmen soll.
Mit der Darstellung des ungebrochen hohen Stellenwerts von Bewegungs- und Sportaktivitäten von Jugendlichen sehen sich der Landessportbund und die Sportjugend Hessen in ihren Anstrengungen bestätigt, dass Sport und Bewegung eine noch größere Berücksichtigung und Förderung in der Ganztagsbildung und in Schule generell erhalten müssen. Das betrifft insbesondere den Ausbau von Schule-Vereins-Kooperationen und deren ausreichend finanzielle Ausstattung.
Da einige der vorgestellten Untersuchungsergebnisse im Widerspruch zu vielen aktuellen Rückmeldungen aus den Sportvereinen und Sportverbänden über einen Rückgang von Vereinsaktivitäten bei G8-Schülerinnen und Schülern stehen, soll diesen offenen Fragen weiter nachgegangen werden. Das betrifft insbesondere die Auswirkungen des G8- und Ganztagsschulsystems auf den Jugend-Leistungssport. Zu dieser brisanten Thematik und anderen Fragenkomplexen bedarf es eines intensiven Dialogs mit Trainern, Übungsleitern, Lehrkräften, Eltern und selbstverständlich den Jugendlichen selbst.