Praxisleitfaden "Medienkompetenz für Lehrkräfte an Ganztagsschulen"
Praxisleitfaden "Medienkompetenz für Lehrkräfte an Ganztagsschulen"
Die Förderung von Medienkompetenz nimmt im Unterricht deutscher Schulen zunehmend breiten Raum ein. Doch wie gelingt sie? Sind Lehrerinnen und Lehrer darauf vorbereitet? Der Praxisleitfaden "Medienkompetenz für Lehrkräfte an Ganztagsschulen" gibt Antworten auf viele Fragen. Er wurde heute auf der Tagung "Medienkompetenz in der Ganztagshauptschule" von der Landesanstalt für Medien in Nordrhein-Westfalen (LfM) vorgestellt.
Schülerinnen am Computer (Bild: Britta Hüning)
Der Leitfaden bündelt die Erfahrungen von neun Ganztagshauptschulen in NRW. Sie hatten sich an einem vom Land unterstützten Modellprojekt zum Einsatz von Medien im Unterricht beteiligt. Herausgekommen sind 146 Seiten gebündelter Informationen, die einerseits der Aufklärung dienen, aber auch auf Gefahren des Internets und auf den verantwortungsvollen Umgang mit ihm hinzuweisen, vor allem aber viele konkrete Beispiele für den Einsatz der Medien im Schulalltag beinhalten. Arbeitsblätter und Checklisten, weiterführende Tipps und Links runden den Inhalt ab.
Für das Modellvorhaben, das vom Verein "Schulen ans Netz" umgesetzt und vom Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit evaluiert worden ist, wurden bewusst Ganztagshauptschulen ausgewählt. Warum, das erläutert der Direktor der Landesanstalt für Medien NRW, Dr. Jürgen Brautmeier: "Ausgangspunkt war die Medienkompetenzförderung von Kindern und Jugendlichen in benachteiligten Lebenslagen. Daher wurde das Modellprojekt an der Hauptschule angesiedelt." Zugleich macht er aber deutlich, dass die "Ergebnisse dieses Projekts für alle Ganztagsschulen der Sekundarstufe I wertvolle Hinweise bereithalten, so dass dieser Praxisleitfaden Schulform übergreifend genutzt werden kann." Und tatsächlich: Der Leitfaden hält, was Dr. Jürgen Brautmeier verspricht.
Medienverhalten für den Aufbau von Kompetenzen nutzen
Die alltägliche Situation von Lehrkräften, aber auch Eltern wird realistisch beschrieben: "Wir müssen zugeben, dass sich für uns Erwachsene die Nutzungspraktiken der Jugendlichen nicht immer erschließen und wir ihren Umgang mit den Medien schnell als problematisch und nicht kompetent bewerten", heißt es im Vorwort. Dem Satz dürften viele der Jugendgeneration Entwachsenen insgeheim oder auch offen zustimmen. Die Landesanstalt rät zum Perspektivwechsel: "Es lohnt sich genau hinzusehen und den Versuch zu unternehmen, die Bedürfnisse der Jugendlichen und ihr daraus resultierendes Nutzungsverhalten verstehen zu wollen. Diese Perspektive eröffnet die Möglichkeit, an den vorhandenen Kompetenzen und dem Spaß der Jugendlichen bei der Mediennutzung anzusetzen und ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten auszubauen." Der Leitfaden soll die Neugier und Freude der Lehrkräfte wecken, bzw. ihnen Mut machen, einfach mit der Medienarbeit anzufangen oder auch weiterzumachen. Dabei steht das Ziel im Mittelpunkt, das Medienverhalten von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I und ihr Potenzial gezielt für den Aufbau von Kompetenzen und Fähigkeiten zu nutzen.
Medienarbeit motiviert Jugendliche
Besonders gute Chancen bietet, so ein Fazit des Modellprojekts, dafür die Ganztagsschule. Auch, weil sie mehr Zeit und Raum für den Einsatz der Medien, etwa in Arbeitsgemeinschaften bietet. Eine Erfahrung aus dem Modellprojekt lautet: "Medien eignen sich hervorragend auch für Entspannungsphasen, etwa in Form von Hörbüchern, Musik und Spielen. Gleichzeitig öffneten sich die Ganztagsschulen mithilfe von Medien nach außen und gestalteten ihre Kommunikation mit Partnern über E-mail, Website transparent." Den Herausgebern ist bewusst, dass die Zusammenarbeit von Schule und außerschulischen Partnern auch in der Halbtagsschule möglich ist. "Aber", so betonen sie, "der Ganztagsbetrieb schafft mehr Flexibilität." Als Beispiel mag die Zusammenarbeit von Schülerinnen und Schüler der Gutenberg-Schule und der am Projekt beteiligten Wilhelm-Ferdinand-Schüßler Tagesschule in Düsseldorf dienen. Gemeinsam produzierten sie einen Beitrag für den Radiosender Antenne Düsseldorf. Dort war man so angetan, dass weitere Projekte folgen sollen.
Überhaupt fiel das Fazit der am Modellprojekt Beteiligten äußerst positiv aus. "Medienarbeit motiviert die Jugendlichen - das ist keine Floskel. Es ist immer noch ein Highlight für sie, wenn man sagt, dass man jetzt mal ins Internet geht", urteilt etwa Johannes Wentzel. Er hat als Medienberater die Sassenberger Hauptschule im Herxfeld begleitet. Er fügt hinzu: "Der Nachmittagsbereich hat generell natürlich den großen Vorteil, dass man hier wesentlich freier agieren und eigentlich auch auf die Medien eingehen kann, die den Schülerinnen und Schülern wichtig sind." Die Autoren machen aber auch deutlich, dass es nicht nur darum geht, die Funktionsweise von Medien zu erlernen. Vielmehr gehe es darum, zu lernen, wie Medien für Recherchezwecke und Projekte genutzt werden können.
Schülerin am Notebook (Bild: Britta Hüning)
Beispiele für den Einsatz von Neuen Medien im Unterricht
Gute Erfahrungen sammelten die Modellschulen, wenn die Schüler Themen eigenständig recherchierten und anschließend ihre Ergebnisse vor Publikum präsentierten - sei es als Powerpoint oder als Video. Diese Form der Darstellung biete, so bilanzieren die Projektträger, zugleich die Möglichkeit, im Dialog mit dem Publikum zu überprüfen, ob die Botschaft, die der Schüler aussenden wollte, auch angekommen sei. Die Düsseldorfer Deutsch- und Englischlehrerin Biljana Dordevic wählte einen anderen Weg: "Wenn es darum geht, die Medien richtig einzusetzen, ist das durchaus über Facebook möglich. Ja, warum nicht beispielsweise eine Pro- und Contra-Argumentation im Deutschunterricht? Das ist auch eine Art Chat. Das ist ein Austausch mit Regeln." Darüber hinaus integrierte sie die Handys der Jugendlichen in den Unterricht. "Bilder aufzunehmen, kleine Videos zu drehen, einen Rap einzusingen, das sind Sachen, die die Schüler sowieso machen. Wir versuchen im Grunde, diese Energie, diesen Spaß, diese Freude, die die Schüler mit den neuen Medien haben, in den Unterricht einzubinden", erläutert sie.
Herangehensweise von Kindern als Stärke schätzen
Der Leitfaden liefert nicht nur Hinweise zum Einsatz der Medien im Unterricht, sondern setzt sich auch kritisch mit der Einstellung der Lehrkräfte auseinander. Die Gespräche mit Pädagoginnen und Pädagogen der Projektschulen habe gezeigt, dass viele von ihnen das Mediennutzungsverhalten von Kindern und Jugendlichen skeptisch sähen: "Sie haben ein eher unkritisches Verhältnis zu ihrer Medienkompetenz und nutzen Medien vorwiegend als Spaßgenerator", so das Vorurteil. Die Verfasser des Leitfadens halten dagegen, dass junge Menschen als "Digital Natives" aufwachsen, während Erwachsene häufig "Digital Immigrants" sind. So erscheine den Erwachsenen der lockere und selbstverständliche Umgang mit Medien oft spielerisch, beliebig, unreflektiert und nicht fundiert. Diese Form der Mediennutzung war schon in früheren unterschiedlichen europäischen Vergleichsstudien als Grund dafür erkannt worden, dass Lehrerinnen und Lehrer den Einsatz von Medien im Unterricht scheuten. Unter anderem war herausgefunden worden, dass sie Sorge hätten, weniger zu wissen und zu können als ihre Schülerinnen und Schüler.
Anders formuliert das jetzt im Leitfaden Koray Coban, Medienberater an der Gartenstadtschule in Krefeld: "Wirklich positiv überrascht war ich, dass vor allem wirklich die Schüler in dem Gebiet eigentlich mehr drauf haben als ihre Lehrer, weil sie das Ganze natürlich konsumieren." Die Autoren werben dafür, Respekt für die Mediennutzungspraktiken der Schülerinnen und Schüler aufzubringen: "Wenn die Herangehensweise von Kindern und Jugendlichen als Stärke gesehen und aktiv in das Lernen einbezogen wird, sind Medien im Unterricht und in ergänzenden Angeboten ein Erfolgsfaktor, um Kompetenzen gezielt und mit Freude zu fördern. Schülerinnen und Schüler erleben dies als Wertschätzung. Der beste Nährboden, um ihr Selbstbewusstsein zu stärken." Mit einem wertvollen Nebeneffekt, wie der Englisch-, Physik- und Chemielehrer Peter Grunert notiert: "Es hat sich dann über weite Strecken tatsächlich so entwickelt, dass ich als Lehrer arbeitslos war. Ich sage es gar nicht so gerne, aber es war wirklich so, dass ich manchmal nur da rumsitzen und den Versicherungsschutz garantieren musste." Sein Fazit: "Seine Schülerinnen und Schüler erkannten, dass Lehrer mehr als Wissensvermittler, nämlich Lernbegleiter sind.
Kategorien: Service
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