Von der Ganztagsschule zum ganztägig offenen Lernzentrum : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Die Schulbau-Messe in Stuttgart widmete sich erneut auch dem Ganztag. Neben Neuentwürfen ging es um den Umbau der Bestandsschulen, um den ganztägigen pädagogischen Ansprüchen besser gerecht zu werden.

Schulbau-Messe 2024 in Stuttgart
Schulbau-Messe 2024 in Stuttgart © Online-Redaktion

Das Ambiente passte perfekt. Die Schulbau-Messe erreichte auf ihrer „Wanderung“ durch Deutschland und benachbarte Staaten wie Dänemark diesesmal Stuttgart. Dort hatten sich Aussteller und am Schulbau Interessierte in der Carl Benz Arena eingefunden, und manch eine Lehrkraft träumte von ähnlichen Erscheinungsbildern deutscher Schulen. Insbesondere, wenn es sich um Ganztagsschulen handelt, in denen Schülerinnen und Schüler einen großen Teil ihrer Zeit verbringen.

Und so formulierte es eine Zuhörerin am zweiten Tag der Messe, die besonders stark das Leben und Lernen im Ganztag in Augenschein nahm: „Was wir brauchen ist eine Öffnung nach außen. Und die dokumentiert sich eben auch in Transparenz und Helligkeit.“ Der Messesaal erlaubte es den Teilnehmenden, auf die Baustelle des Stuttgarter Stadions zu blicken, so wie es umgekehrt ein Leichtes war, von außen einen Eindruck vom Messegeschehen zu gewinnen.

Inspiration aus Dänemark

Dass ein solch offenes Szenario keine unrealistische Träumerei bleiben muss, unterstrich etwa der Architekt Julian Weyer. Er ist sowohl in Deutschland als auch in Dänemark aktiv und stellte sehr anschaulich das Konzept für die Offene Schule Waldau in Kassel vor. Dabei handelt es sich um ein neues Gebäude für die bekannte Ganztagsschule, das sich von Schulen in Skandinavien, etwa einer Schule in Ikast inspirieren ließ.

Den Kerngedanken des Konzeptes formulierte der Referent so: „Bei dem Gebäude in Ikast handelt es sich um eine von der Gemeinde genutzte Fläche mit Schule – und nicht umgekehrt.“ Will heißen, an diesem Standort existieren unter anderem eine öffentliche Bücherei, ein Jugendzentrum und Cafés. Gemeinsam mit der Schule bilden sie eine Einheit. Von außen kann das Lernen der Schülerinnen und Schüler beobachtet werden. Ja, das Konzept sieht sogar vor, dass die zahlreichen Schultüren im Erdgeschoss jederzeit offen für Gäste stehen. Weyer mit Blick auf die Offene Schule Waldau: „Der Name ist Programm. Die Schule soll sich mit der Gesellschaft vernetzen.“

Die Dachterrasse des in Holzbauweise erstellten Gebäudes wird nicht abgeschlossen. Was den Architekten zur der Bemerkung veranlasste: „Im Kasseler Stadtteil Waldau haben sie erkannt, dass die Vorteile dieser Offenheit wertvoller sind als die Mühe, auch einmal Müll von Gästen wegräumen zu müssen.“ Zitat der bereits erwähnten Zuhörerin: „Wer so offen für andere ist, gewinnt sicher auch Kooperationspartner für seinen Ganztag.“

Diskussion am „Küchentisch“

Stephen-Hawking-Schule in Neckargemünd
Stephen-Hawking-Schule in Neckargemünd © Stephen-Hawking-Schule

Auf das Gemeinsame als wichtiges Plus des Ganztags wies auch Kerstin Niendorf hin. Die Leiterin des Schulverwaltungsamtes der baden-württembergischen Landeshauptstadt möchte die Zusammenarbeit nicht nur auf die unterschiedlichen Professionen in den Ganztagsschulen beschränkt wissen. In Richtung der eigenen Behörde betonte sie: „Wir sind selbst ein multiprofessionelles Team, dem viele unterschiedliche Fachrichtungen, von Expertinnen und Experten für IT bis zu Fachleuten für Unterricht, Inklusion oder Ganztag angehören. Ganztag funktioniert nur zusammen.“

Für den Schulbau laute die Aufgabe beispielsweise, neben Neubauten die Bestandsschulen so zu sanieren und auszubauen, dass sie die pädagogischen Bedürfnisse der Schulen von heute erfüllen könnten. Dabei sollten möglichst viele Beteiligte einbezogen werden: „Wir sollten auch die Schülerinnen und Schüler fragen, was sie für erforderlich halten. Auch wenn wir nicht alle Wünsche erfüllen können.“

Am sogenannten „Küchentisch“ trafen sich die Schulleiterin der Schalksburgschule in Albstadt-Ebingen Bärbel Göttling-Lebherz, der Leiter der Abteilung Schulbetrieb und Schulservice des Stuttgarter Schulverwaltungsamtes Philipp Forstner sowie der Kölner Architekt Christopher Frett zum Thema „Rechtsanspruch Ganztagsschulen – wie die Umsetzung gelingt“. Heraus kam eine spannende Diskussion über Beteiligungsverfahren und die Partizipation von Schülerinnen und Schülern. Die vielleicht wesentlichste Aussage dazu lieferte Philipp Forstner: „Den Rechtsanspruch müssen wir Kommunen umsetzen. Unsere Aufgabe ist es, auf die Schulen zuzugehen. Jeder Standort ist anders, nicht nur baulich. Die Sicht auf den Ganztag reicht von ‚Feuer und Flamme‘ bis ‚zögerlich‘“.

Partizipation auch in der Grundschule

Bärbel Göttling-Lebherz schilderte den Weg der Schalksburgschule von einer ehemaligen Grund- und Hauptschule zu einer Ganztagsgrundschule in verbindlicher Form nach Paragraf 4a des baden-württembergischen Schulgesetzes, wie es 2014 verabschiedet wurde. Sie hob hervor: „Das Raumkonzept muss stimmen, schließlich können die Schülerinnen und Schüler nicht den ganzen Tag nur sitzen.“

Lernatelier der Geschwister-Scholl-Schule Konstanz
Lernatelier der Geschwister-Scholl-Schule Konstanz © Geschwister-Scholl-Schule Konstanz

Wichtig sei ihr damals gewesen, das gesamte Kollegium der Schule, aber natürlich auch die Eltern bei der Umgestaltung mitzunehmen. „Wir haben deshalb ein Ganztagsteam gegründet, das sehr eng mit dem Architekten kooperiert hat“, schilderte sie die Umbauphase vor sieben Jahren. Das Miteinander der Schule als Ganze mit den Architektinnen und Architekten ebenso wie mit der Schul- und Bauverwaltung ist auch für Christopher Frett die Basis für einen gelingenden Schulbau: „Das erfordert ein kontinuierliches Miteinander aller Beteiligten über einen langen Zeitraum.“

Die Partizipation sei bei Grundschülerinnen und Grundschülern „sicher etwas schwieriger“, meinte Bärbel Göttling-Lebherz. „Aber es kommen von den Kindern viele interessante Anregungen, die in die Überlegungen zum Raumkonzept, aber auch zur Gestaltung des Ganztags einfließen können.“ Die Schülerinnen und Schüler  lernen dabei auch, dass die Schule kein „Vergnügungspark“ ist und nicht jeder Wunsch erfüllt werden kann. Auch die Schulverwaltung, so Philipp Forstner, möchte die Schülerinnen und Schüler mitnehmen, „auch in der Grundschule, beispielsweise bei der Gestaltung des Außengeländes“. Deren „neue und andere Perspektiven“ findet er wichtig.

Ganztägig offenes Lernzentrum

Mit Interesse verfolgte das gut gefüllte Plenum die Ausführungen von Schulleiter Benjamin Köhler. Seit wenigen Jahren leitet er das Königin-Charlotte-Gymnasium in Stuttgart. Im April wird die Schule den Antrag stellen, sich zur Ganztagsschule weiterentwickeln zu können. „Doch eigentlich sind wir das schon“, betonte er. Lerncoaches, Hausaufgabenbetreuung, zahlreiche Arbeitsgemeinschaften mit Bildungspartnern aus den Stadtteilen und intensive Begabtenförderung in MINT und Sprachen prägen bereits den Alltag im vorhandenen traditionellen Bau.

Der Schulleiter meint, dass Schülerinnen und Schüler zunehmend einen sicheren Lernraum benötigen: „Den können und sollen sie in der Ganztagsschule finden.“ Weil auch am Gymnasium die Zahl derer wachse, die Unterstützung von der Schule benötigten, hat die Schule schon 2018 als eines der ersten Gymnasien in Stuttgart ein Lerncoaching zur Einzelförderung von Schülerinnen und Schülern eingeführt. Nach Corona wurde eine Krisenlösungsgruppe gebildet. Sie könne bei dringendem Handlungsbedarf schnell zusammenkommen.

Lehrerarbeitsplätze
Lehrerarbeitsplätze © Alemannenschule Wutöschingen

Bereits abgeschlossen ist im Königin-Charlotte-Gymnasium beim Konzept der Sanierungsplanung die „Phase Null“, sprich die gemeinsame Überlegung aller mit Schule Verbundenen, wie das künftige Ganztagsgymnasium baulich gestaltet werden soll. Herzstück wird ein zentrales Lernzentrum sein, das ganztägig offen ist und in dem Schülerinnen und Schüler durchgängig Ansprechpartnerinnen und -partner finden, wenn sie lernen.

Besonders wichtig ist Schulleiter Benjamin Köhler, dass der Umbau oder der Neubau von Schulen in flexibler Form erfolgten. „Denn die Pädagogik wird sich weiter entwickeln. Es sollte nicht so sein, dass wir in einigen Jahren erneut vor der Frage stehen, wie wir neue wissenschaftliche pädagogische Erkenntnisse in den dann vorhandenen Gebäuden wohl umsetzen.“

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